Ein Weltstar ist zu Gast in Karlsruhe: Sprinterin Dina Asher-Smith nach ihrem WM-Gold 2019 in Doha. Foto: imago//Vegard Wivestad Grau

Tradition verpflichtet: Erstmals in seiner 36-jährigen Geschichte findet das Leichtathletik-Meeting ohne Zuschauer als reines TV- und Internetereignis statt. Die Organisatoren sind vom Wert ihrer Veranstaltung trotzdem überzeugt.

Karlsruhe - Warum es Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga gibt, ist mittlerweile selbst jenen klar, die mit diesem Sport nichts anfangen können: Nur wenn die Kugel rollt, rollt auch der Rubel. Ohne TV-Einnahmen ginge eine ganze Branche bankrott. Aber weshalb wird ein Leichtathletik-Meeting, das schon in normalen Zeiten ein Zuschussgeschäft ist, nun auch ohne Zuschauer ausgetragen? Für die Macher des Hallenspektakels in Karlsruhe, das an diesem Freitag wieder erstklassig besetzt sein wird, ist das keine Frage – sie haben keine Zweifel, dass ihre Veranstaltung auch als reines TV- und Internetevent (der SWR überträgt ab 18.35 Uhr im Livestream) enormen Wert hat.

„Wir haben eine große Leichtathletiktradition, der wir uns verpflichtet fühlen“, sagt der Sportdirektor Alain Blondel, der bereits sein 29. Meeting (fünf davon in Stuttgart) organisiert. Die Leidenschaft des Zehnkampf-Europameisters von 1994 spielt eine große Rolle, aber nicht nur. Auch die Zahlen stimmen aus Sicht der Organisatoren. Der Etat beträgt 770 000 Euro, er ist auch ohne Ticket- und TV-Einnahmen gedeckt: Die Stadt Karlsruhe beteiligt sich mit 500 000 Euro, den Rest steuern Sponsoren und Weltverband (235 000 Euro) sowie das Land (35 000) bei. „Angesichts der weltweiten Ausstrahlung“, sagt der Meeting-Direktor Martin Wacker, „ist das IHM für Karlsruhe bestes Stadtmarketing.“ Und dazu kommt ein bemerkenswertes Comeback.

Strukturhilfen der Stadt Karlsruhe

Dreißig Jahre lang war die Europahalle eine der ersten Adressen in der internationalen Leichtathletik. Vier Weltrekorde (unter anderem von Haile Gebrselassie und Genzebe Dibaba) und zwei Europarekorde (unter anderem von Dieter Baumann), eine mit 4500 Zuschauer stets voll besetzte Arena – das konnte sich sehen lassen. 2015 folgte der Schock: Wegen unzureichender Brandschutzmaßnahmen war die Europahalle plötzlich untauglich. „Da wurde das Meeting für tot erklärt“, erinnert sich Wacker. Doch der Karlsruher Gemeinderat votierte klar für die olympische Kernsportart und verabschiedete ein Strukturpaket über 1,5 Millionen Euro. Nach dem Kauf einer 350 000 Euro teuren blauen Kunststoffbahn in Göteborg und eines flexiblen Tribünenaufbaus zog das Meeting in die Messehalle um. „Sport in Karlsruhe ist nicht nur der KSC“, begründete der Sportbürgermeister Martin Lenz den hohen Zuschuss.

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Nach sechs Meetings in der Messehalle folgt nun die nächste überraschende Kehrtwende. Weil wegen der Corona-Bestimmungen nur 200 Personen zugelassen sind und die Messehalle zum Impfzentrum umfunktioniert wurde, geht es zurück in die Europahalle – der Brandschutz reicht für 200 Leute aus. Durch den Wegfall der infrastrukturellen Kosten in der Messehalle (Bahneinbau, Tribüneninstallation) sparen die Veranstalter 100 000 Euro. „Diesen Betrag können wir an die Stadt zurückgeben“, erklärt Wacker.

Genau mit dieser Summe planen die Verantwortlichen für den Sommer ein Stabhochsprung-Spektakel in der Karlsruher Innenstadt. Hallenwechsel und zwei Veranstaltungen statt einer – das sind die Karlsruher Corona-Kuriositäten. Dazu kommt, dass die Europahalle nach dem Meeting für rund 30 Millionen Euro umgebaut wird, die Arbeiten sollen 2022 abgeschlossen sein.

Sportler und Organisatoren in der Blase

Die Pandemie setzt den IHM-Organisatoren aber auch strenge Vorgaben. Seit Wochen steht das Hygiene- und Nachverfolgungskonzept. Die rund 130 Athleten dürfen nur anreisen, wenn sie einen maximal 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorweisen können. Beim Eintreffen im Hotel erfolgt ein neuerlicher Test. Sportler und Organisatoren bewegen sich in einer Blase, Medienvertreter sind nicht zugelassen.

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Das Starterfeld genügt internationalen Ansprüchen. Der Topstar ist die britische Sprinterin Dina Asher-Smith – dreifache Europameisterin 2018 in Berlin sowie Gold- und Silbermedaillengewinnerin bei der WM 2019 in Doha –, die in der Europahalle über 60 Meter startet. „Asher-Smith ist ein absoluter Weltstar“, sagt Blondel über die Britin, die unter anderen auf die Hallen-Europameisterin Ewa Swoboda trifft. Dazu kommen Juan Miguel Echevarria (Kuba/WM-Dritter im Weitsprung), der griechische Weitsprung-Europameister Miltiadis Tentoglu, der Stabhochsprung-Olympiasieger Renaud Lavillenie (Frankreich) und Beatrice Chepkoech (Kenia), die Weltmeisterin und Weltrekordlerin über 3000 Meter Hindernis. Was nur zeigt: Das IHM in Karlsruhe wird selbst in Corona-Zeiten seiner bedeutenden Rolle als Auftaktveranstaltung der World Athletics Tour mit Veranstaltungen in Lievin (9. 2.), Boston (13. 2.), Torun (17. 2.) und Madrid (24. 2.) gerecht – auch wenn es erstmals ein Geister-Meeting sein wird.