Historisch: Übergabe einer Maske aus den Benin-Beständen des Linden-Museums an Vertreter Nigerias. Von links: Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums, Stuttgarts Bürgermeister Fabian Mayer, Kunstministerin Petra Olschowski, der Generaldirektor der nigerianischen Foto: Lichtgut//Leif Piechowski

Meilenstein auf dem langen Weg der Restitution von Raubkunst und der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte: Am Mittwoch wurden die Eigentumsrechte an 70 Benin-Objekten des Lindenmuseums an Nigeria übertragen. 24 der Objekte bleiben dennoch in Stuttgart.

Der Akt an sich wirkte spielend leicht: Für das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart unterzeichneten am Mittwoch Kunstministerin Petra Olschowski und Kulturbürgermeister Fabian Mayer im Linden-Museum die Rückgabe-Vereinbarung für die Stuttgarter Benin-Bronzen. Für Nigeria setzten der Botschafter in Berlin, Yusuf Maitame Tuggar, und Abba Ise Tijani, Generaldirektor der nigerianischen Museums- und Denkmalbehörde, ihre Unterschriften unter das Dokument, das bundesweit Modellcharakter für die Restitution afrikanischer Raubkunst hat. Mit ihm erhält Nigeria die Eigentumsrechte an 70 Objekten, die zu den sogenannten Benin-Bronzen zählen und bisher Teil der Afrika-Sammlung des Linden-Museums waren. Andere Länder und Städte wollen dem Beispiel folgen.

Lob für eine Vorkämpferin der Restitution

Doch die Leichtigkeit täuscht. Der Weg zur Rückgabe der Objekte, die großteils seit mehr als 120 Jahren in Stuttgart lagern, war langwierig und erforderte große Investitionen in Vertrauen. Wie lange in Deutschland die Bewusstseinsbildung brauchte, „das Richtige zu tun“, wie es Nigerias Botschafter ausdrückte, nämlich Raubkunst zurückzugeben, zeigt ein offener Brief, den die frühere Grünen-Landtagsabgeordneten Waltraud Ulshöfer 1985 verfasste hatte, und in dem sie appellierte, sich der Kolonialgeschichte zu stellen und den Weg für die Rückgabe von geraubten Kunstwerken freizumachen.

Nigerias Botschafter Yusuf Maimata Tuggar stellt Ulshöfer am Tag der Vertragsunterzeichnung als leuchtendes Beispiel vor: „Mir ist es wichtig, an diejenigen zu erinnern, die schon vor vielen Jahren für die Restitution von unethisch erworbenen Kolonialguten gekämpft haben.“ Sein Dank gilt auch dem Land Baden-Württemberg, das sich 2021 als erstes Bundesland zur Restitution der Benin-Bronzen bekannt hatte und „damit den Weg vorgezeichnet hat, den andere gehen können“. Ebenso der Stadt Stuttgart, die ihrerseits den Weg für die Rückgabe freigemacht hatte. Land und Stadt waren gemeinsame Besitzer der Benin-Objekte – bis zur Vertragsunterzeichnung am Mittwoch.

Als erstes kehrt eine wertvolle Maske zurück

Die Ernsthaftigkeit, mit der Land, Stadt und Linden-Museum das Thema bearbeitet haben, zeigt Früchte, die bundesweit und international beachtet werden. Sie prägte auch den Geist der Vertragsunterzeichnung. „Die Menschen in Nigeria bekommen einen Teil ihrer Geschichte zurück“, sagte Olschowski. Die Vertreter Nigerias zeigten sich bewegt. Die Menschen in ihrem Land würden jetzt Gelegenheit bekommen, etwas „über sich selbst und ihre Geschichte zu erfahren“, betonte der Botschafter.

Der Anfang dazu ist gemacht. Als erstes Objekt übergab Kunstministerin Olschowski eine seltene Zeremonial-Maske aus dem 16. Jahrhundert an den Generaldirektor der nigerianischen Denkmalbehörde. Die Maske, bisheriges Herzstück der Stuttgarter Afrika-Sammlung, soll zusammen mit Exponaten aus anderen deutschen Museen noch vor Weihnachten zurückgegeben werden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Kunstministerin Olschowski reisen dafür in Kürze nach Nigeria. Der Delegation wird auch die Direktorin des Linden-Museums Inés de Castro angehören. Künftiger Aufbewahrungsort der Maske und weiterer 46 Objekte, die jetzt noch im Lindenmuseum lagern, könnte dann das im Bau befindliche Edo Museum of West African Art in der Millionenstadt Benin-City sein.

In Stuttgart werden weiterhin wertvolle Stücke zu sehen sein

Im Bundesstaat Edo scheint das allerdings nicht unumstritten zu sein. Wie die nigerianische Zeitung „Sun“ berichtet, will der amtierende Oba (König) von Benin, Ewuare II., die Objekte in einem noch zu bauenden königlichen Museum ausgestellt sehen und nicht im Edo Museum of West African Art. Er vertritt damit eine andere Meinung als der Gouverneur des Bundeslandes Edo, zu dem Benin gehört. Es gebe keinen Zweifel daran, wem die Artefakte gehörten, wurde der König zitiert. Generaldirektor Tijani deutete an, dass seine Behörde den Bau von privaten Museen unterstütze, vorausgesetzt, sie erfüllten die notwendigen Standards. Als nächstes solle die Maske jedoch im Nationalmuseum in Benin-City ausgestellt werden.

Alle Seiten betonen die Bedeutung der neuen Partnerschaft

Klar ist jedenfalls: 24 Objekte aus der Sammlung werden als Dauerleihgabe in Stuttgart bleiben. Besucher des Staatlichen Museums für Völkerkunde haben somit weiterhin die Möglichkeit, afrikanische Kunst im Original zu sehen. „Es soll kein Vakuum entstehen“, betonte Generaldirektor Tijani, der als Student am Linden-Museum gearbeitet hatte. Glücklich ist Museumsdirektorin de Castro darüber, dass es sich auch um wertvolle Stücke handelt, darunter hölzerne Ahnenköpfe und ein Zeremonialschwert.

Dass ihr der Abschied von dem Herzstück der Afrika-Sammlung schwer fällt, von der am Mittwoch übergebenen Maske, verhehlte de Castro nicht. Mit den Vertragspartnern ist sie sich jedoch einig, „zweifellos das Richtige getan zu haben“: „Wir verlieren nicht etwas, wir gewinnen vielmehr etwas: Vertrauen und Partnerschaft“, sagte de Castro. Davon war am Mittwoch schon viel zu spüren. Generaldirektor Tijani sprach von einer „neuen Partnerschaft mit vielfältigem Nutzen für alle Seiten“. Botschafter Tuggar betonte: „Wir gewinnen alle etwas. Die Restitution ist der Beginn einer Zusammenarbeit, die auf Vertrauen gegründet ist.“ Auch deshalb fiel am Mittwoch häufig das Wort „historisch“.

Gespräche laufen auch mit Namibia und Kamerun

Mit der Vertragsunterzeichnung am Mittwoch hat es nicht sein Bewenden. Land, Stadt und Museum sind auch mit Vertretern Namibias und Kameruns im Gespräch. „Das Land bekennt sich zur ethisch-moralischen Verpflichtung, Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, dessen Aneignung in ethisch nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte, an Herkunftsgesellschaften und -staaten zurückzugeben“, betonte die Kunstministerin.

Auch hier geht es zunächst darum, nach dem Beispiel Nigerias eine breite Vertrauensbasis zu schaffen. Im Rahmen der breit gefächerten sogenannten Namibia-Initiative ist ein Netzwerk zwischen Kultureinrichtungen und Hochschulen in Baden-Württemberg und Namibia entstanden, etwa zwischen der Summerschool der University of Namibia, dem Linden-Museum und der Universität Tübingen. So tauschten sich im Studierende aus beiden Ländern über die kolonialen Vergangenheit und den Umgang mit Kulturgütern aus. Eine Partnerschaft besteht auch zwischen dem Landesarchiv Baden-Württemberg und dem Nationalarchiv Namibias. Hier geht es um die gemeinsame Erschließung der Bestände und die Frage, wie sie am besten zugänglich gemacht werden können. Auch auf künstlerischem Gebiet findet ein Austausch statt.

Info

Raubkunst 1897 erstürmten britische Truppen Benin-City, die Hauptstadt des Königreichs Benin im heutigen Nigeria. Dabei erbeuteten sie Kunstwerke aus Bronze, Holz und Elfenbein, die heute unter dem Begriff Benin-Bronzen bekannt sind. Das Raubgut, darunter die wertvolle Maske aus dem 16. Jahrhundert, die jetzt Stuttgart verlässt, gelangte in den Kunsthandel und von dort aus in viele Museen und Sammlungen. Darunter auch ins Linden-Museum. Die meisten seiner 70 Benin-Objekte sind seit mehr als 120 Jahren in Stuttgart. 46 kehren jetzt nach und nach zurück. 24 bleiben als Dauerleihgaben des nigerianischen Staates hier.