Der neue Thriller von Robert Harris spielt in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Foto: Lukas Jenkner

Der britische Thrillerautor Robert Harris widmet sich nach „München“ wieder dem Zweiten Weltkrieg und schildert eine Episode aus der Endphase des Krieges, als das Deutsche Reich mit den berüchtigten V2-Raketen Angst und Schrecken verbreitete.

Stuttgart - Als das Deutsche Reich 1944 damit beginnt, die sogenannten V2-Raketen auf England niedergehen zu lassen, sind die meisten Mitarbeiter des deutschen Raketeningenieurs Wernher von Braun weitgehend desillusioniert. Sie ahnen, dass ihr Einsatz den Krieg kaum noch zu Gunsten des Reiches entscheiden wird. Trotzdem machen alle verbissen weiter. Warum eigentlich? Das fragt sich in Robert Harris neuem Thriller „Vergeltung“ auch der Ingenieur Rudi Graf, der mit Von Braun von Beginn des Raketenprogramms an zusammengearbeitet hat, nun macht er in der besetzten Niederlande Raketen startklar. Geträumt hatte Rudi Graf vom Flug zum Mond, jetzt bringt er mit seiner Arbeit Menschen um.

Auf der anderen Seite des Kanals wird die britische Offizierin Kay Caton-Walsh bei einem Einschlag fast ein Opfer einer der V2-Raketen. Sie meldet sich zu einer geheimen Mission der Luftwaffe und wird mit einer Handvoll Kameradinnen im befreiten Belgien eingesetzt. Das Ziel: Die Startplätze der deutschen Raketen ausfindig und für die britischen Bomber zu einem abschussfähigen Ziel zu machen.

Falsch geweckte Erwartungen

Harris, seit vielen Jahrzehnten verlässlicher Lieferant von Thriller-Bestsellern mit Schwerpunkt auf dem Zweiten Weltkrieg, verwebt in seinem neuen Thriller „Vergeltung“ wie immer gekonnt Fakten und Fiktion. Sowohl das Raketenprogramm der Nazis als auch der kreative Ansatz der britischen Luftwaffe, die Abschussrampen ausfindig und unschädlich zu machen, werden historisch akkurat geschildert.

Trotzdem zündet „Vergeltung“ nicht so recht, was vermutlich an falsch geweckten Erwartungen auf dem Einband liegt. Von einer gemeinsamen Mission der britischen Offizierin und des deutschen Ingenieurs kann nämlich keine Rede sein. Vielmehr schildert Harris die Wege zweier Menschen auf verschiedenen Seiten der Front, die versuchen, mit der Angst, Druck und den unwürdigen Begleiterscheinungen, die eine vom jahrelangen Krieg zermürbte und verrohte Menschheit mit sich bringt, fertig zu werden.

Eine Art Geschichtsstunde

Das ist bedrückend und lesenswert zugleich, ein Pageturner wird daraus allerdings nicht. „Vergeltung“ hätte ein großer Schuss Fiktion in Form eines „Himmelfahrtskommandos“ sehr gut getan. So wähnt sich der Leser auf weiten Strecken in einer Art Geschichtsstunde in Form nachgestellter historischer Szenen einer BBC-Dokumentation. Möglicherweise hat sich Robert Harris dabei auch nicht mehr als das gedacht, und wenn die Leser damit zufrieden sind, sei’s drum. Am Ende bleibt gleichwohl das Gefühl, dass mehr drin gewesen wäre.

Robert Harris: Vergeltung. Roman. Heyne Verlag München 2020. Hardcover, 22 Euro.