In den Laboren des Mainzer Unternehmens Biontech entwickelt man neuartige Medikamente gegen Krebs. Foto: Biontech SE

Helmut Jeggle verantwortet in der Biotechnologie-Branche manchmal Start-up-Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe Er sieht die Branche in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt und fordert mehr Anreize für Kapitalgeber.

Stuttgart - Helmut Jeggle denkt in für Deutschland unüblichen Dimensionen. Zehntausend Arbeitsplätze in einem ganz neu gegründeten Unternehmen hierzulande – warum nicht? 1300 Beschäftigte zählt das Mainzer Unternehmen Biontech heute, seit 2019 ist es an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistet. Und wenn es nach Jeggle geht, steckt in der Firma noch viel Potenzial. Bei Biontech ist er Aufsichtsratschef.

Mit einer Bewertung von vier Milliarden Dollar (gut 3,6 Milliarden Euro), ist die Biotechnologiefirma für ein als Start-up in Deutschland gestartetes Unternehmen eine Hausnummer. Jeggle managt Investmentkapital der Gebrüder Strüngmann. Diese sind 2005 mit dem Verkauf des von ihnen gegründeten Pharmaunternehmens Hexal zu mehrfachen Milliardären geworden. Mehr als 1,5 Milliarden Euro hat deren Risikokapitalfirma Athos Services in den letzten zwölf Jahren investiert, davon mehr als eine Milliarde in Biotechnologie, vorwiegend in deutsche Unternehmen. Biontech, eines ihrer großen Investments, hatte einen der größten Börsengänge einer deutschen Biotechfirma.

Erfolgsgeschichten zu wenig im öffentlichen Bewusstsein

Und dennoch hat Jeggle den Eindruck, dass solche Geschichten zu wenig im öffentlichen Bewusstsein sind. Biotechnologie ist ein Bereich, in dem Investoren anders ticken: „Ohne eine Prise Idealismus geht es nicht“, sagt Jeggle: „Sie können hier als Investor nicht wie ein klassischer Betriebswirt rechnen. Wenn Sie wie wir bei Biontech auch mal 150 Millionen Euro investieren, müssen Sie einfach an die Leute glauben, die das machen.“ Den Biontech-Gründer Ugur Sahin habe man aus der Zusammenarbeit bei einem früheren Investment gekannt.

Biontech benutzt dabei dieselbe Basistechnologie wie das Tübinger Biotechunternehmen Curevac. Man nutzt Träger von Erbinformationen, die sogenannte Boten-RNA, die diese Informationen vom Zellkern dorthin transportiert, wo Eiweißmoleküle hergestellt werden. Damit kann der Körper dazu gebracht werden, sozusagen seine eigenen Arzneimittel herzustellen. Während Curevac mit dieser Technologie vor allem Impfstoffe entwickelt, nutzt Biontech die Methode für die Krebstherapie. Das Unternehmen aus Mainz ist nur ein Teil des Portfolios, das Jeggle für die Familie Strüngmann verwaltet.

Zurzeit ist deren Risikokapitalzweig in 15 Firmen investiert, 90 Prozent macht die Biotechnologie aus, der Rest liegt im Bereich Medizintechnik. Das Geld legt man zumeist in der Start-up-Phase an, wo sich traditionelle Pharmaunternehmen zurückhalten. Man ist zusammen mit dem SAP-Mitgründer Dietmar Hopp einer der wenigen deutschen Risikokapitalgeber, die in den Dimensionen agieren, die in der Branche notwendig sind. Trotz weiterhin bestehender Hindernisse, wie einem fehlenden heimischen Kapitalmarkt, habe die Biotechnologie das Potenzial, zu einer deutschen Vorzeigebranche zu werden, sagt Jeggle: „Die Forschung in Deutschland ist exzellent, die Unternehmen sind in den vergangenen Jahren reifer geworden: Man hat heute eine realistische Einschätzung, wie lange beispielsweise die Entwicklungsprozesse dauern und was sie kosten.“ Auch ausländische Kapitalgeber seien für die Biotechnologie in Deutschland zu interessieren. „Wir haben eine hervorragende Chance, diese Unternehmen in Deutschland zu halten – wenn wir die Rahmenbedingungen richtig setzen.“ So sei etwa die Erfahrung mit Produktionsprozessen und Automatisierung ein Trumpf des deutschen Standortes.

Potenzial der Biotechnologie wird unterschätzt

Besonderheiten der Branche werden nicht verstanden

Doch noch habe die Politik in Deutschland die Besonderheiten der Biotechnologie nicht richtig verstanden. Hier geht es um sehr lange Zeiträume, bis ein Medikament fertig entwickelt ist, es kann Jahre, ja gar Jahrzehnte dauern. Und vor allem die Kosten der für die Zulassung notwendigen Studien können bis zu dreistellige Millionenbeträgen verschlingen. „Selbst eine Frühphaseninvestition kann im Biotechbereich schon 50 Millionen Euro betragen.“ Dafür gebe es in Deutschland leider zu wenige Initiativen zur Gründungsförderung. Es brauche mehr Programme nach dem Vorbild etwa der erfolgreichen Clusterinitiative des Bundesforschungsministeriums. In den USA ist das anders, da kommen bei vielversprechenden Ideen oft für deutsche Maßstäbe gigantische Summen zusammen: „Dort sehen die Investoren viel mehr das langfristige Potenzial einer tatsächlichen Innovation und verstehen, dass die Entwicklung eines neuen führenden Produktes zunächst einmal jede Menge Geld kostet.“

Ein Grund für den Kapitalmangel in Deutschland seien unattraktive steuerliche Rahmenbedingungen. In der kapitalintensiven Biotechnologiebranche spüren Investoren die Kappung von Verlustvorträgen im deutschen Steuerrecht, etwa wenn eine Firma auf ein neues Produkt umschwenken muss. „Ich verstehe nicht, warum das nicht lösbar ist“, sagt Jeggle.