Die Situation in den Mietshäusern in Neukölln sei nicht einfach. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Von Ischgl in die Neuköllner Mietskasernen: So hat es der Bezirksbürgermeister umrissen. Das Coronavirus greift nach den allgemeinen Lockerungen noch einmal um sich. Im Vergleich zu den vergangenen Monaten gibt es nun aber Besonderheiten.

Berlin - Der Corona-Ausbruch in Neuköllner Wohnblöcken mit 70 bestätigten Fällen stellt aus Sicht eines Berliner Amtsarztes eher kein Risiko für die Allgemeinbevölkerung dar. Trotz Querverbindungen in andere Bezirke sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein berlinweites Problem entstehe, „nicht besonders groß“, sagte der Leiter des Gesundheitsamts Reinickendorf, Patrick Larscheid, am Mittwoch im RBB-Inforadio. Er begründete dies auch mit den Erfahrungen von den Ausbrüchen in Fleischzerlegebetrieben in anderen Bundesländern: Die Betroffenen dort hätten so abgeschottet gelebt, dass das Virus nicht übergeschwappt sei – ähnlich scheine es auch aktuell in Berlin zu sein. In Reinickendorf gibt es Corona-Fälle, bei denen Bezüge nach Neukölln vermutet werden.

Unterdessen ist die Zahl der Infizierten in den unter Quarantäne gestellten Wohnblöcken mit rund 370 Haushalten in Neukölln weiter gestiegen. Inzwischen seien mit Stand Dienstagabend 70 Fälle bekannt, sagte Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) bei radioeins. Am Tag zuvor hatte der Bezirk von 57 Fällen gesprochen. Die Fälle seien auf die Haushalte verteilt, schilderte Hikel. Die Situation sei nicht einfach. Auch in der Allgemeinbevölkerung lasse die Disziplin beim Einhalten der Corona-Regeln nach: „Insofern ist es natürlich in der jetzigen Situation noch mal schwieriger, Menschen zu verdeutlichen, dass Corona eben nicht vorbei ist und dass auch das Einhalten von einer Quarantäne bedeutet, andere Menschen zu schützen.“

Corona-App sei nur „Spielzeug für die digitale Oberschicht“

Die vom Ausbruch betroffenen Gruppen seien sehr arme und zum großen Teil auch bildungsferne Menschen, die „uns sehr vertraut sind im Gesundheitsamt“, sagte Amtsarzt Larscheid im Inforadio. Sie seien schwer zu schützen. Manchen könne man die grundlegenden Dinge im Infektionsgeschehen nicht klar machen. „Das ist die reale Arbeit in den Gesundheitsämtern, damit kämpfen wir und dem stehen wir auch ein bisschen ratlos gegenüber hier und da“, sagte Larscheid.

Die neue staatliche Corona-Warn-App, die beim Nachverfolgen der Kontakte helfen soll, wertete Larscheid in Anbetracht des akuten Falls als „Spielzeug für die digitale Oberschicht“. Bei Gruppen wie den nun Betroffenen könne man sich davon keine Vorteile erhoffen. „Wir gehen hin, wir sprechen mit jedem Einzelnen.“

In Wohnungen leben Menschen auf engstem Raum zusammen

In Neukölln stehen knapp 370 Haushalte in sieben Wohnblöcken an verschiedenen Orten unter Quarantäne. In den Wohnungen leben teils bis zu zehn Menschen auf engem Raum zusammen. Diese Woche laufen noch zahlreiche Corona-Tests, sodass mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen gerechnet wird. Berlins Regierungschef Michael Müller lobte Neuköllns Vorgehen im Inforadio: Dort werde „sehr gut vorgegangen“. Die Berliner Teststrategie habe sich bewährt, wonach gezielt überall dort getestet wird, wo Kontakte unvermeidlich sind. Der Ausbruch war nach Infektionen bei Schulkindern aufgefallen.

Bei vielen Krankheiten ist bekannt, dass ohnehin benachteiligte Gruppen besonders betroffen sein können. Bei Covid-19 zeigt sich das etwa bereits deutlich in den USA. Wie eine Untersuchung von Versichertendaten aus Deutschland zeigte, könnten Arbeitslose ein höheres Risiko haben, wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Bezieher von Arbeitslosengeld II hätten ein um 84 Prozent höheres Risiko für einen coronabedingten Klinikaufenthalt, ging aus einer kürzlich vorgestellten Untersuchung der AOK Rheinland/Hamburg und des Instituts für Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf hervor.