Bewerbungsrede aus „dem Zimmer meines Mitbewohners“ – die Baden-Wüttembergerin Ricarda Lang ist neue Vorsitzende der Grünen. Foto: AFP/John MacDougall

Am Ende einer für die 28-jährige Nürtingerin turbulenten Woche löst sie zusammen mit Omid Nouripour das Ministerduo Annalena Baerbock und Robert Habeck an der Grünen-Spitze ab. Die Partei stellt sich auf schwierige Zeiten ein.

Berlin - Das Wahlergebnis ist, auch wenn es kein überragendes war, sicher auch Ausdruck von Solidarität gewesen. Schließlich hatte es Ricarda Lang, die am Samstag mit 76 Prozent der Delegiertenstimmen zur neuen Grünen-Chefin gewählt worden ist, in den Tagen zuvor alles andere als leicht gehabt. Nach ihrer ersten Bundestagsrede am Mittwoch war sie nämlich nicht nur für ihre Unterstützung einer Impfpflicht kritisiert, sondern auch wegen ihres Körpergewichts beleidigt worden.

Zu allem Überfluss hatte ihr ein PCR-Testergebnis kurz danach bescheinigt, während ihres Auftritts coronainfiziert gewesen zu sein. Deshalb erlebte sie den Höhepunkt ihrer noch jungen politischen Laufbahn auch am heimischen Bildschirm und nicht vor Ort im Berliner Velodrom.

Das führte zu einer Premiere in der deutschen Politik – noch nie wurde eine Bewerbungsrede für den Vorsitz einer Regierungspartei „aus dem Zimmer meines Mitbewohners“ gehalten, wie Lang eingangs sagte. Die in Nürtingen aufgewachsene Politikerin fand das „ziemlich frustig“. Zu den Attacken gegen sie in den angeblich sozialen Medien äußerte sie sich nur kurz, da sie sich nicht darüber definieren wolle. „Ich sehe aus, wie ich aussehe“, sagte Ricarda Lang, versehen mit dem „Stolz“ auf ihre Partei, in der Äußerlichkeiten keine Rolle spielten.

„Regieren ist doch keine Strafe“

In der Vorstellungsrunde versuchte sie vor allem Lust auf die Regierungsjahre zu machen („Regieren ist doch keine Strafe, sondern eine riesengroße Chance“) und die Eigenständigkeit der Partei zu betonen („Wir müssen über den Koalitionsvertrag hinausdenken“). Soziale Themen sind der bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsenen Lang besonders wichtig. Die Grünen würden auch das Verkehrsthema nicht ignorieren, nur weil in der Ampelkoalition die FDP das Verkehrsressort erhalten habe – sie schlug deshalb einen „großen Verkehrskongress im Sommer“ vor.

Wie die 28-Jährige ihre Partei führen will, hatte sie bereits in einem Schreiben an die Delegierten genauer ausgeführt. Sie will, obwohl sie zur Parteilinken zählt, ganz im Sinne ihres baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der am Freitag seine Kritik am Wahlkampf einer „Milieupartei“ erneuert hatte, „den Öffnungsprozess der Partei der letzten Jahre vorantreiben, in den nächsten Jahren Politik für die ganze Gesellschaft machen und nicht nur für diejenigen, die uns gewählt haben“. Das gelte „insbesondere für Menschen, die mehr Angst vor dem Monatsende als vor der Klimakrise haben müssen“. Ricarda Lang will ihren Parteivorstand zur einem „Scharnier zwischen der Regierung und der Basis“ machen. Außerdem müssten die Grünen „auch in Regierungszeiten eine Mitmach-Partei bleiben“.

Im Duo mit Omid Nouripour

Der alten wie der neuen Grünen-Spitze ist durchaus bewusst, dass der Regierungspartei eine schwierige Zeit bevorsteht. Omid Nouripour, der Außenpolitikexperte aus Hessen mit iranischen Wurzeln, der bei zwei weitgehend unbekannten Gegenkandidaten mit 82 Prozent der Stimmen zu Langs Co-Vorsitzendem gewählt wurde, sprach von einem „Knochenjob“, der den grünen Regierungsmitgliedern bevorstehe.

Außenministerin Annalena Baerbock sowie Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck, die mit diesen Ämtern nach den Statuten den Parteivorsitz abgeben mussten, hatten schon in ihrer gemeinsamen Abschiedsrede die bereits gemachten Zugeständnisse verteidigt. Zu den strittigen Themen, die an der Parteibasis weniger gut angekommen sind, gehören die Förderung von Atom- und Gaskraftwerken auf europäischer Ebene oder das abrupte Ende der KfW-Förderung für energetische Sanierungen, ohne dass ein neues Programm schon bereitsteht. „Es ist schwierig, aber es ist gut, dass wir es machen“, erklärte Habeck und versicherte: „Kompromisse sind nicht der Abschied von den eigenen hehren Idealen.“ Auch der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir warnte seine Partei: „Es darf bei uns jetzt keine Arbeitsteilung geben, bei der die einen machen und die anderen fordern.“

Eine Satzungsänderung als Warnschuss

Abgestraft wurden die Parteioberen nicht, einen kleinen Warnschuss aber gab es schon – in den Abstimmungen zu einer Satzungsänderung, mit der der Wust von mehr als 3000 Parteitagsanträgen in der mittlerweile 125000 Mitglieder starken Grünen-Partei verringert werden soll. So warb Baerbock vergeblich dafür, dass künftig 0,1 Prozent der Mitglieder, also derzeit 125, für einen zulässigen Antrag notwendig sind. Stattdessen wurde die Mindestzahl nur von derzeit 20 auf 50 erhöht.

Grundsätzliche Kritik spielte auf der Bundesdelegiertenkonferenz – abgesehen von Kretschmanns Einwürfen - nur eine untergeordnete Rolle. Nouripours Gegenkandidat Mathias Ilka, der im Koalitionsvertrag viel zu wenig Klimaschutz ausmachte, erhielt nur 17 Stimmen. Ein Antrag zur Einsetzung einer Kommission, die analysieren sollte, warum die mit dem Anspruch als Kanzlerinpartei bei der Bundestagswahl nur 14,8 Prozent der Stimmen bekommen hatte, wurde abgeschmettert. Lang hat dennoch einen „umfassenden Evaluationsprozess“ angekündigt, man müsse „lernen, was auf dem weiter angestrebten Weg ins Kanzleramt „gut gelaufen ist, worauf wir aufbauen, aber auch, wo wir besser werden müssen“.

Als Muhterem Aras - die Stuttgarter Landtagspräsidentin führte auch auf dem Grünen-Parteitag Regie – Nouripour einen Blumenstrauß überreicht, drückte sie möglicherweise am besten aus, dass die Grünen sich den eher zähen Regierungsstart nicht vermiesen lassen wollen: „Wir werden mit Dir und Ricarda die nächsten vier Jahre rocken.“