Torsten Ade und seine Nachfolgerin als Chefärztin der Notaufnahme, Kerstin Kunz Foto: Gottfried Stoppel

Zwei Schlüsselpositionen, zwei neue Wege – und ein gemeinsames Ziel: bessere Versorgung für die Patienten. Die Rems-Murr-Kliniken stellen sich neu auf. Welche Strategie dahintersteckt.

Fünf Jahre lang war Dr. Torsten Ade quasi in Mehrfachfunktion an vorderster Front: Chefarzt der Notaufnahme, Krisenmanager, Hygieneverantwortlicher in einer Pandemie, wie man sie in dieser Heftigkeit nicht erwartet hatte. Jetzt zieht er einen Schlussstrich – nicht aus Müdigkeit, sondern aus Überzeugung. „Beides mit voller Expertise zu machen, geht auf Dauer nicht“, sagt er.

Ade übergibt die Verantwortung für die Interdisziplinäre Notaufnahme (INA) am Rems-Murr-Klinikum Winnenden an Dr. Kerstin Kunz – und widmet sich voll dem, was im Klinikalltag oft unsichtbar bleibt, aber Leben retten kann: der Hygiene.

Die Klinikhygiene soll an den Rems-Murr-Kliniken einen noch höheren Stellenwert bekommen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

„Herr Ade hat uns sehr erfolgreich durch Corona gebracht“, sagt Klinikgeschäftsführer André Mertel. Worte, die Respekt und Dank ausdrücken – aber auch eine stille Erleichterung. Denn in den vergangenen Jahren war die Doppelfunktion für Ade ein Kraftakt. Als die Pandemie über das Land rollte, wurde er zu einer Schlüsselfigur zwischen Alarmknopf und Strategiepapier.

 

Rems-Murr-Kliniken reagieren auf demografischen Wandel

Jetzt übernimmt er die standortübergreifende Leitung der Klinikhygiene. Und das aus gutem Grund. „Die Gruppe der schutzwürdigen und gleichzeitig besonders anfälligen Patienten nimmt immer mehr zu“, erklärt er. Gründe sind der demografische Wandel und die zunehmende Ambulantisierung: „Auf einen 25-Jährigen, der seinen Meniskuseingriff ambulant bekommt, muss man sich anders einstellen als auf eine 85-Jährige mit Hüftgelenks-OP“, sagt Ade. Ältere, vorerkrankte, antibiotisch vorbehandelte Patientinnen und Patienten sind besonders gefährdet – und immer häufiger Teil des Klinikalltags. Hygiene ist längst keine Randnotiz mehr, sondern Grundbedingung funktionierender Versorgung.

Hinzu kommen neben multiresistenten Keimen auch neue Umweltfaktoren. Zoonosen – also Infektionen, die von Tieren auf Menschen überspringen. „Auch die Tigermücke ist inzwischen bei uns angekommen“, sagt Ade – nicht alarmistisch, sondern nüchtern. Eine Klinikhygiene, die auf aktuelle Entwicklungen schnell und flexibel reagiert, sei daher überlebenswichtig, sagt der Ärztliche Direktor der Rems-Murr-Kliniken, Heiner Lange. Torsten Ade spricht von „individuellen Risikoabschätzungen“ und von einem „generalistischen Auftrag“ – der von der Bauplanung bis zur psychologischen Begleitung reiche. Hygiene, das wird deutlich, ist keine Nebensache mehr. Es ist ein medizinischer Brennpunkt.

Dass die Klinikhygiene jetzt Chefsache wird – und intern verankert bleibt – ist eine bewusste Entscheidung. Der Klinikgeschäftsführer André Mertel betont: „Wir machen uns mit der personell befeuerten Weiterentwicklung unserer Klinikhygiene deutlich unabhängiger von externen Dienstleistern. Sie verursachen hohe Kosten, und es ist klar, dass ein externes Institut nie so eng mit unseren Prozessen und Notwendigkeiten vertraut sein kann wie interne Fach- und Führungskräfte, die unsere Häuser bestens kennen.“

Neue Herausforderungen in der Notaufnahme

Während Ade in die Prävention wechselt, tritt Dr. Kerstin Kunz an einem anderen neuralgischen Punkt ihren Dienst an: der Notaufnahme. Die Medizinerin, zuletzt Chefärztin der Zentralen Notaufnahme der Oberschwabenklinik Ravensburg, übernimmt in Winnenden eine Abteilung, die längst über das medizinisch Notwendige hinaus belastet ist.

Landrat Richard Sigel fordert von der Politik verbindliche Regelungen. Foto: Gottfried Stoppel/ 

Grund dafür: der Wegfall der kassenärztlichen Notfallpraxen in Backnang und Schorndorf. Immer mehr Menschen, die eigentlich in eine reguläre Praxis gehörten, landen nun in der Klinik und „verstopfen“ die Notaufnahme. Eine „Vorsortierung“ im Eingangsbereich soll nun helfen, echte Notfälle von Bagatellen zu trennen. Weil ungeklärt ist, wer diese Aufgabe übernehmen soll, die zu Teilen eigentlich den niedergelassenen Ärzten zufiele, richten die Rems-Murr-Kliniken ein Provisorium auf eigene Rechnung ein. „Wir leisten hier auf eigene Kosten Pionierarbeit für ein System, das leider noch nicht geregelt ist“, kritisiert der Landrat und Aufsichtsratsvorsitzende Richard Sigel und fordert verbindliche Regelungen von der Politik.

„Wir machen das, weil uns die bestmögliche Versorgung der Menschen wichtig ist“, betont Sigel. Aber er sagt auch deutlich: „Am Ende des Tages muss das finanzierbar sein.“

Neue Chefin der Notaufnahme setzt auf Teamarbeit

Mit Kerstin Kunz kommt eine Ärztin, die für diese Situation nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich gerüstet ist: Fachärztin für Innere Medizin, Zusatzqualifikation in klinischer Akut- und Notfallmedizin, klinische Risikomanagerin, landesweit vernetzt und engagiert in der Weiterbildung. „Eine gut funktionierende Notaufnahme ist die Visitenkarte jeder Klinik“, sagt sie – und spricht von interprofessioneller Zusammenarbeit, von Teamdynamik und Kommunikation auf Augenhöhe.

„Das Klinikum Winnenden hat mich sofort begeistert“, erzählt Kunz. Die Freundlichkeit, die Offenheit, das Miteinander – das sei nicht selbstverständlich. Gemeinsam mit ihrem Team will sie an die Arbeit von Torsten Ade anknüpfen und die Versorgung kontinuierlich weiterentwickeln.

Zwei Wechsel, eine Botschaft

Ob in der Hygiene oder in der Notaufnahme: Die Rems-Murr-Kliniken setzen auf interne Kompetenz und menschliche Stärke – in einem System, das zunehmend an seine Grenzen stößt. Die politische Verantwortung für überlastete Notaufnahmen, die wachsende Bedeutung von Hygienestandards, der Spagat zwischen Ökonomie und Versorgung – all das macht deutlich: Die Gesundheitsversorgung vor Ort steht auf einem fragilen Fundament.