In der Onkologie der Rems-Murr-Klinik in Winnenden wird unter anderem auch Akupunktur bei der Krebstherapie eingesetzt. Foto: dpa/dpaweb

Von Akupunktur bis Qigong: Bei der Krebstherapie der Rems-Murr-Klinik ergänzt Naturheilkunde die Schulmedizin. Ein Modell, das deutschlandweit Aufmerksamkeit erregt.

„Komplementärmedizin bedeutet bei uns nicht Alternativmedizin, sondern sinnvoll ergänzende, nachweislich wirksame Verfahren“, erklärt Prof. Dr. Markus Schaich, Chefarzt des Onkologischen Zentrums an der Rems-Murr-Klinik in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Bereits 2013 begann der Mediziner im damaligen Kreiskrankenhaus Waiblingen mit dem Aufbau dieses Angebots und setzte den Ausbau in der neu gebauten Klinik in Winnenden fort.

Durch Musik-, Kunst- und Sporttherapie, über traditionelle und ernährungsmedizinische Ergänzungen bis hin zu Akupunktur und Chinesischer Medizin – das Gesamtpaket habe bei den Auditoren des zertifizierten Zentrums hohe Anerkennung gefunden, heißt es in einer Mitteilung der Rems-Murr-Kliniken. Markus Schaich: „Fast jeder Krebspatient – Frauen noch deutlicher – fragt: Was kann ich zur Schulmedizin zusätzlich tun?“ Statt mit Unkenntnis zu reagieren, biete man ein ganzheitliches Behandlungsprogramm, das von den Zertifizierungsbehörden explizit gelobt werde.

Traditionelle Chinesische Medizin stärkt Krebstherapie in Winnenden

Ein Schwerpunkt der Komplementärmedizin liegt auf der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Dr. Hans Lampe, international renommierter TCM-Experte und zugleich in Winnenden sowie an der Universität Rostock tätig, hebt fünf zentrale Säulen hervor: pharmakologische Dekokte, Akupunktur, Diätetik, Qigong sowie Akupressur. Er und Kollegen veröffentlichten jüngst eine Studie, in der die Kombination von Akupunktur, Akupressur und QiGong mit schulmedizinischer Chemotherapie untersucht wurde.

Dr. Ramona Hein (rechts) und Dr. Hans Lampe setzen gezielte Nadelstiche gegen Schmerzen, Krämpfe oder Übelkeit.. Foto: RMK/Fuchs

Lampe erläutert: „Wir nutzen insbesondere Akupunktur bei akuten Beschwerden und Dekokte bei chronischen Verläufen.“ Die Ernährung (Diätetik) könne die Wirkungen der Pflanzenmedizin positiv oder negativ beeinflussen. Qigong sei besonders gut für Prävention und Stabilisierung therapeutischer Erfolge geeignet. Im klinischen Alltag sei diese Herangehensweise jederzeit präsent. Oberärztin Dr. Ramona Hein, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, arbeitet laut Klinik daran, bei jeder Krebserkrankung gezielt den Mehrwert komplementärer Methoden auszuschöpfen und gleichzeitig Risiken zu minimieren. „Viele Patienten möchten während und nach schulmedizinischer Therapie mit natürlichen Verfahren ihren Körper und ihre Seele stärken“, so Hein.

Individualisierte Begleittherapie

Dabei werde genau hingeschaut: „Um Krebszellen zu bekämpfen, braucht es starke Medikamente – die aber Nebenwirkungen haben. Komplementärmedizin kann helfen, diese besser zu verkraften.“ Doch weniger ist oft mehr: „Ich nehme Druck raus und prüfe, was der jeweilige Patient wirklich braucht – nicht mehr, nicht weniger.“ Ein Beispiel: Zink kann bei Strahlentherapie gegen Entzündungen der Mundschleimhaut helfen. Eine dauerhafte Zinkgabe ohne Mangel führe jedoch zu Risiken wie Prostatakrebs oder Blasenentzündungen.

Auch pflanzliche Extrakte unterzieht Hein vorab einer Prüfung: Manche Wechselwirkungen mit Chemotherapie könnten Wirkungen abschwächen oder Nebenwirkungen verstärken – was gefährlich sei. Deshalb werde die heimische Hausapotheke der Patienten gemeinsam unter die Lupe genommen. „Manche wissen gar nicht, was ihnen schaden könnte – da braucht es Feingefühl und Psychologie“, betont Hein.

Akupunktur bei akuten Symptomen

Als besonders hilfreich erweist sich die Akupunktur laut Aussage der Experten gegen typische Begleiterscheinungen der Chemotherapie wie Übelkeit oder Erbrechen. Dr. Hein benutzt hauchdünne Nadeln an spezifischen Punkten. „Das wirkt sehr gut“, sagt sie. Zudem werden Patienten darin geschult, Akupressur selbst anzuwenden, etwa vor der Chemo, um Beschwerden zu lindern. Ein konkretes Beispiel: Eine Patientin mit Eierstockkrebs entwickelte bei der Chemotherapie Symptome einer Polyneuropathie – Nervenschäden, die sich in Krämpfen zeigten und ihr den Alltag erschwerten. Die Folge: Sie traute sich nicht mehr, Auto zu fahren. „Mit gezielter Akupunktur konnten wir helfen: Die Krämpfe ließen nach, ihre Lebensqualität stieg – ein enormer Erfolg im Alltag.“

Interdisziplinäres Netzwerk und Mitmachangebote

Das zertifizierte Zentrum verbindet alle Organkrebszentren – Brust, Darm, Gynäkologie, Leukämie, Pankreas, Prostata – in einem engen Netzwerk aus Schul- und Komplementärmedizin. Unterstützt werden die onkologischen Behandlungen durch ein Team von Fachpflege, Psychoonkologinnen, Physiotherapeutinnen, Kunst- und Musiktherapeuten sowie Ernährungs‑ und Sozialberatung. Ergänzend zum Arzt-Patienten-Kontakt gibt es Gruppenangebote: dienstags um 14 Uhr trifft sich die onkologische Sportgruppe, mittwochs um 15.15 Uhr findet Qigong statt. Diese Formate förderten Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft – Faktoren, die in der Krebsbehandlung zunehmend als kritisch für Gesundheit und Wohlbefinden anerkannt sind.