Die praktische Ausbildung in Lehrbetrieben galt in Frankreich bis vor wenigen Jahren noch als Sackgasse für die berufliche Karriere. Foto: dpa/Jan Woitas

Nach einer Reform der dualen Ausbildung und dank staatlicher Hilfe streben immer mehr junge Menschen in Frankreich in Lehrberufe. Viele Firmen suchen inzwischen auch auf diesem Weg gezielt nach Nachwuchs.

Paris - Wer in Frankreich eine praktische Ausbildung absolviert, galt bisher als Verlierer. Zwar liegt auch heute noch der Fokus auf der makellosen Schulkarriere, doch vor allem bei den Betrieben hat ein Sinneswandel eingesetzt. Die blicken nämlich mit einigem Neid nach Deutschland, wo die duale Ausbildung dem Handwerk und der Industrie den Nachwuchs beschert und gleichzeitig die Jugendarbeitslosigkeit niedrig hält.

Grund für den Wandel ist eine 2018 vereinbarte Reform des Ausbildungswesens in Frankreich. Wie das Arbeitsministerium berichtet, steigt die Zahl der Lehrlinge seit zwei Jahren steil an. Während 2019 noch rund 369 000 junge Menschen eine duale Ausbildung starteten, seien dies 2020 trotz der Coronapandemie bereits 525 600 gewesen – und im laufenden Jahr zeige die Kurve weiter nach oben.

Theorie- und Praxiseinheiten wurden neu geregelt

Durch den grundlegenden Umbau der Inhalte hin zu einer dualen Ausbildung konnte auch deren Image bei Jugendlichen und Betrieben verbessert werden. So wurden etwa die Theorie- und Praxiseinheiten neu geregelt und die Möglichkeiten für duale Studiengänge erweitert. Eine Ausbildung in einem Betrieb gilt nun nicht mehr als Sackgasse, sondern als Einstieg in den Arbeitsmarkt mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten.

Der französische Ökonom Bertrand Martinot erklärte in einem Interview mit dem Sender TF1, dass diese positive Entwicklung nicht nur auf die Reformen der Ausbildung zurückzuführen sei. Der Arbeitsmarktexperte ist überzeugt, dass die Firmen händeringend nach Personal suchen und ihre Bemühungen verstärkt haben, gute Leute zu finden. Der einfachste Weg sei in diesem Fall, über eine Lehre die Talente zu identifizieren, zu fördern und dann möglichst auch zu behalten. Diese Aussage wird durch Zahlen des Arbeitsministeriums gestützt. Eine Umfrage unter Betrieben ergab, dass 65 Prozent der Lehrlinge zwölf Monate nach ihrem Arbeitsantritt eine sichere Anstellung haben.

Große Firmen haben eigene Ausbildungszentren eingerichtet

Große Firmen wie Orange, L’Oréal und Total gehen gezielt auf Nachwuchssuche. Sie haben nach der Reform von 2018 die Möglichkeit genutzt, eigene Ausbildungszentren mit anerkannten Abschlüssen einzurichten, um auf diese Weise ihre zukünftigen Angestellten heranzuziehen. Im Bereich der „Beratung“ sei die Zahl der Auszubildenden um 85 Prozent gestiegen, heißt es aus dem französischen Arbeitsministerium. Anträge auf weitere Ausbildungszentren lägen vor.

Für französische Unternehmen ist es allerdings auch eine lohnende Sache, Auszubildende einzustellen. Denn der Staat zahlt den Betrieben für jede Stelle im Moment einen Zuschuss zwischen 5000 und 8000 Euro. Im ersten Lehrjahr deckt dies nach Angaben des Arbeitsministeriums fast die gesamten Lohnkosten. Eigentlich sollte diese Regelung im März 2021 auslaufen, wurde dann allerdings wegen der Coronapandemie noch einmal bis Ende des Jahres verlängert. Die Kosten für diese Förderung belaufen sich auf rund 2,4 Milliarden Euro. Beobachter gehen davon aus, dass die Maßnahme noch einmal verlängert wird, da im April 2022 Präsidentenwahlen stattfinden. Amtsinhaber Emmanuel Macron schmückte sich in diesen Tagen mit überraschend guten Wirtschaftszahlen und einer verblüffend niedrigen Arbeitslosenrate, vor allem bei den Jugendlichen. Diesen Erfolg möchte er sich durch die Kürzung der Zuschüsse bei der Ausbildung sicher nicht in Gefahr bringen.