Welches Haus auf einem Grundstück steht, spielt bei der neuen Landesgrundsteuer keine Rolle mehr. Foto: dpa/Jens Büttner

Baden-Württemberg geht bei der neuen Grundsteuer seinen eigenen Weg. Wer künftig mehr bezahlt beziehungsweise weniger, lässt sich erst sagen, wenn die Kommunen die neuen Hebesätze festgelegt haben. Kritik an dem Modell, über das der Landtag nun entscheiden wird, gibt es aber schon jetzt: Verfassungsklagen sind absehbar.

Stuttgart - Der Weg für die künftige Grundsteuer ist frei. Am Mittwoch hat der Landtag in Stutttgart das Grundsteuergesetz beschlossen, die Koalitionsmehrheit winkte den rund 100 Seiten langen Reformentwurf durch. Mit Eigenlob haben Grüne und CDU in den vergangenen Monaten nicht gegeizt: Experten seien begeistert von der Bürokratiearmut und Verfassungsfestigkeit des Modells, jubelt das Regierungsbündnis. In der Tat erntet sein „modifiziertes Bodenwertmodell“ viel Zustimmung. Vor allem die Kommunen loben das Gesetz. Dennoch sind Verfassungsklagen absehbar. Hier einige Fragen und Antworten.

Warum wird die Grundsteuer geändert?

Im April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Steuerermittlung über den Einheitswert für verfassungswidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wurde bis Ende 2019 eine Reform abverlangt. Der Bundestag hat fristgerecht ein Modell verabschiedet, bei dem die Grundstückswerte, das Alter von Gebäuden und die Mietkosten herangezogen werden. Mit einer Grundgesetzänderung wurde den Ländern aber auch die Möglichkeit gegeben, vom Bundesrecht abzuweichen. Genau dies hat Baden-Württemberg getan. Lediglich bei der Besteuerung von land- und forstwirtschaftlichem Boden, der sogenannten Grundsteuer A, lehnt sich das Land an das Bundesgesetz an. Bei der Grundsteuer B jedoch, die für 82 Prozent aller Grundstücke gilt, dem eigentlichen Grundvermögen, geht der Südwesten eigene Wege.

Was ist so besonders am Südwest-Modell?

Was ändert sich?

Es kommt zu einem Systemwechsel: Gebäude spielen für die Taxierung keinerlei Rolle mehr, allein der Grund und Boden zählt. Das vereinfacht die Berechnung, denn die schwierige Bewertung von Häusern und deren Sanierungsstand ist überflüssig. Es kommt nur noch auf die Grundstücksfläche und den Bodenrichtwert an. In die Rechnung fließt allerdings auch eine sogenannte Steuermesszahl ein. Das ist die Stellschraube der Landespolitik, mit der sie zum Beispiel den Wohnungsbau lenken kann. Die gesetzliche Steuermesszahl beträgt für Grundvermögen 1,3 Promille, ermäßigt sich aber um 30 Prozent, wenn ein Grundstück überwiegend Wohnzwecken dient. Sie beträgt dann also 0,91 Promille. Zum Schluss drehen die Kommunen noch an der wichtigsten Stellschraube: Mit der Höhe des Hebesatzes entscheiden sie darüber, wie hoch die Grundsteuer letztlich wird.

Wie berechnet man die Steuer?

Die Rechnung ist einfach. Zunächst wird der sogenannte Grundsteuerwert eines Grundstücks ermittelt. Dafür multipliziert man dessen Fläche mit dem jeweiligen Bodenrichtwert. Bodenrichtwerte werden seit langem durch unabhängige Gutachterausschüsse anhand von tatsächlichen Verkäufen ermittelt. Sie sind ein gängiges Instrument zur Wertermittlung und können auf den Internetseiten der Kommunen sowie über das Portal BORIS-BW eingesehen werden. Der so ermittelte Grundsteuerwert wird nun mit der gesetzlich festgelegten Steuermesszahl multipliziert. Ganz zum Schluss wird darauf nun der – überall neu zu bestimmende – Hebesatz der jeweiligen Gemeinde (ein Prozentwert) angewandt.

Hat der Streit damit ein Ende?

Das ist unwahrscheinlich. Das Bundesverfassungsgericht wird sich wohl auch mit den neuen Modellen auseinandersetzen müssen – auch mit dem baden-württembergischen. Dieser Tage hat zum Beispiel der Bund der Steuerzahler in einem Brief an die Fraktionschefs im Landtag verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Er bezieht sich auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Gregor Kirchhof von der Uni Augsburg. Die Landtags-FDP teilt die Kritik. Da mit den ersten Steuerbescheiden aber nicht vor 2025 zu rechnen ist – so lange lässt Karlsruhe der Steuerverwaltung Zeit – werden Klagen noch auf sich warten lassen.

Was bemängeln die Kritiker?

Die Bewertung allein nach Grund und Boden wird als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angesehen. Auch das steuerliche Leistungsfähigkeitsprinzip werde verletzt, heißt es. Das politisch gewichtigste Argument aber lautet: Es wird teurer. Und das auch für Mieter, denn viele Hausbesitzer legen die Nebenkosten vollständig um. Die FDP argumentiert außerdem, die Reform sei ein Einstieg in die Vermögensbesteuerung, weil sich die Grundsteuer nun an der Lage des Objekts orientiere. Die SPD befürchtet, dass gerade Häuslebesitzer eine erhebliche Mehrbelastung erleben. Außerdem verweist sie darauf, dass das Land für sein exklusives Modell mehrere Millionen Euro für eine eigene EDV und zusätzliches Personal ausgeben muss. Schon jetzt seien 150 Stellen geschaffen worden, welche bis 2024 auf 500 aufgebaut werden. Kritik entzündet sich auch an den Gutachterausschüssen: Deren Arbeit habe eine extrem unterschiedliche Qualität, meinen manche Immobilienfachleute. Das Verfahren zur Ermittlung der Bodenrichtwerte sei weder transparent noch rechtssicher.

Was entgegnen die Befürworter?

Teurer oder nicht – Regierung und Kommunen legen großen Wert auf die Feststellung, dass pauschale Aussagen darüber aktuell nicht seriös seien. Die neuen Hebesätze stünden noch nicht fest, die alten aber hätten keinerlei Aussagekraft. Eines allerdings versichert die kommunale Familie: Die Reform soll grundsätzlich „aufkommensneutral“ sein. Soll heißen: unter dem Strich. Es wird also Gewinner und Verlierer geben. Der Industrie- und Handelskammertag schlägt vor, dass die sich rechnerisch ergebenden, aufkommensneutralen Hebesätze öffentlich gemacht werden. Damit verstärke man den Druck, dass die Gemeinden die Reform nicht zur Erhöhung ihrer Einnahmen nutzen. Umweltschützer haben einen anderen Maßstab: Der Nabu nennt das Modell einen „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen, nachhaltigen und gerechten Steuerpolitik“. Es trage zur Reduzierung des Landschaftsverbrauchs bei und schütze damit die Natur.

Wie geht es jetzt weiter?

Bis Januar 2022 müssen die 5,6 Millionen wirtschaftlichen Einheiten im Südwesten neu bewertet sein. Alle Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert, eine Erklärung für ihren Grundbesitz bei den Finanzämtern einzureichen – möglichst digital. Danach wird ein Grundsteuermessbescheid erlassen. Die Kommunen im Land nehmen aus der Steuer jährlich 1,8 Milliarden Euro ein.