Tony E. (hintere Reihe 2.v.l.) bei einem Treffen in Alfdorf bei Schwäbisch Gmünd: Das Treffen an der Hummelgautsche im September 2019 gilt des Richtern des Stuttgarter Oberlandesgerichtes nicht mehr als Gründung der mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe. Foto: STN

Der Generalbundesanwalt sieht in Tony E. einen der Rädelsführer der sogenannten Gruppe S.. Er soll als Mitanführer mutmaßliche, rechtsterroristische Anschläge geschmiedet haben. Dem widersprach der Angeklagte jetzt in einer Aussage vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht.

Stuttgart - Der Generalbundesanwalt sieht in Tony E. einen rechtsterroristischen Drahtzieher. Zweiter Mann der sogenannten Gruppe S., die – sind sich die Ankläger sicher – einen Bürgerkrieg in Deutschland anzetteln und so die Regierung und das Gesellschaftssystem habe stürzen wolle.

Jetzt sitzt der vermeintliche Rädelsführer vor den fünf Richtern des 5. Strafsenats in der Stammheimer Zweigstelle des Stuttgarter Oberlandesgerichts. Blaues Hemd und blauer Sakko. Zu seiner Rechten hat sich Verteidiger Heiko Hofstätter platziert, der dem 41-jährigen vor allem moralischen Beistand geben will: E. ist an beiden Prozesstagen aufgeregt, an denen er die vorbereitete Erklärung vorliest, die er auf 86 Seiten niedergeschrieben hat.

Wenn er auch „an Traditionen festhalte und oft auch Angst gegenüber Neuem und mir Unbekanntem habe, bin ich grundsätzlich ein liberaler Mensch und lebe getreu dem Motto: ‚Leben und leben lassen‘“, verliest er. Er komme nicht umhin, zuzugeben, „in manchen Dingen durchaus altmodisch beziehungsweise konservativ zu sein“.

DDR-BRD-Biografie

Geboren im thüringischen Nordhausen wuchs E. in der DDR und der Bundesrepublik auf. Ein Leben wie viele, die beide Staaten kennengelernt haben: guter Realschulabschluss, abgebrochene Lehre zum Hotelfachmann, die Industriekaufmann abgeschlossen. Vier Jahre Bund bei den Heeresfliegern, „nebenberuflich als Sicherheitsmitarbeiter in Diskotheken und bei Veranstaltungen“ gejobbt. Selbstständiger Versicherungsmakler, Ladendetektiv, Sicherheitsfirma.

Weiterbildung zur „Betreuungsfachkraft und Alltagsbetreuer“ – also eine Qualifikation, nach der in Pflege- und Altenheimen händeringend gesucht wird. E. arbeite bei einem ambulanten Pflegedienst in der Lüneburger Heide: „Diese Tätigkeit hat mich derart erfüllt, dass ich während dieser gesamten Zeit von beinahe vier Jahren nicht einen Tag krankgeschrieben war, auch wenn ich tatsächlich einmal krank war“, sagt er. Er hoffe, in diesem Beruf wieder arbeiten zu können. Nach E.s Verhaftung im Februar 2020 reichte seine Frau die Scheidung ein, Kontakt zu den beiden kleinen Jungs halte er über Videotelefonate.

Eloquent beschreibt sich E. selbst: Uneigennützig – er sagt altruistisch -, „nicht exponierter, aber ausgeglichener Zeitgenosse“, zurückhaltend, zuverlässig, Wort treu und überaus kommunikativ. Als weniger positiv empfinde er an sich, dass er „der die Dinge beim Namen nennt und diese kategorisiert. Ihnen ein Etikett aufklebt und somit sprichwörtlich einen Stempel aufdrückt, damit diese dann entsprechend ihrer Klassifizierung in die richtige Schublade passen“.

Vorbereitungen für den Tag X

Er halte an Traditionen fest und habe „oft auch Angst gegenüber Neuem und mir Unbekanntem“. Er verurteile „Anschläge durch Rechtsextremisten, wie in Hanau, Halle und die Taten des NSU“; aber genauso islamistisch motivierte „wie Berlin, Paris, Nizza und jüngst erst das Messerattentat in Würzburg“.

Tony E. war Führungsmitglied der rechtsextremen Gruppierung „Freikorps Heimatschutz Division 2016“. Was genau E. in den Freikorps sah, welchem Zweck sie dienten, sagt er nicht. Er räumt ein, Kontakte zur „Bruderschaft Deutschland“ gehabt zu haben, die seit 2016 hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen aktiv ist. Und die der Verfassungsschutz als „bürgerwehrähnliche Mischkultur von Neonazis, Rockern und Hooligans“ einstuft.

Die Polizei benannte die Gruppe S. nach ihrem mutmaßlichen Oberhaupt Werner S.. Ihn lernte E. in den sozialen Medien Im April 2019 kennen. Persönlich trafen sich die beiden Männer im Juli 2019 in Thüringen. Man habe ein Grundstück kaufen wollen „für Softair-Spiele“, quasi erheblich stärkere Erbsenpistolen. Und: Das Gelände habe auch als „als Rückzugsort im Falle einer möglichen ‚Krisensituation‘“ dienen sollen. Eine Krisensituation ist für E. ein „mögliches Katastrophenszenario mit verheerenden gesellschaftlichen sowie politischen Auswirkungen, ein Worst-Case-Szenario“, der schlimmste vorstellbare Fall, den andere in der Szene der Prepperszene, der Menschen, die sich auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten, als „Tag X“ bezeichnen.

Schmiedete die Gruppe Anschlagspläne?

Bedeutsam ist diese Passage vor allem aus einem Grund: Sie widerspricht den umfangreichen Darstellungen des Belastungszeugen und mitangeklagten Paul-Ludwig U., der bereits im April der Polizei in Würzburg als Informant anbot und berichtete, er habe eine Rechtsterrorgruppe unterwandert, die Anschläge auf Moscheen in Deutschland plane. Objektive Beweise oder auch nur Indizien für diese Behauptung haben die Ermittler nicht. Dafür aber, dass die von E. geschilderte Zeitabfolge stimmt.

Der Kontakt zwischen S. und E. verfestigte sich, wie auch an zahlreichen Verhandlungstagen in den von der Polizei mitgeschnittenen Telefonaten zwischen den beiden belegen. Auch sich auch viele Gespräche um private Dinge, Gesundheit, Familie und Eheprobleme drehten.

Am 8. Februar 2020 machten sich S. und E. gemeinsam auf den Weg nach Minden. Wenn überhaupt, so korrigierten die Richter des 5. Strafsenats im Sommer die Einschätzung des Generalbundesanwaltes, könnte sich allenfalls die Rechtsterrorgruppe gegründet haben. Nicht bereits im September 2019. Auf dem Treffen im westfälischen Minden, heißt es in der Anklageschrift, habe die Gruppe Anschlagspläne geschmiedet.

Auf der Fahrt habe S. ihm gesagt, „dass er beim Treffen eine Frage stellen und dabei jedem tief in die Augen schauen werde“. Er sei „zwar etwas überrascht bezüglich dieser Formulierung „gewesen und habe mit „einem fragenden ‚Ok?‘“ geantwortet. Aber „auch nicht weiter nachgehakt und mich auf die Fahrt konzentriert“. In Minden habe S. dann die 13 Versammelten gefragt: ,,Da wir uns hier heute treffen, um gemeinsam ein paar Dinge zu besprechen, würde ich oder möchte ich zunächst von jedem einzelnen einmal wissen, wie er ausgerichtet ist! Und zwar offensiv oder defensiv?“

Der Belastungszeuge habe Moscheen angreifen wollen

Fünf der heute Angeklagten – unter ihnen E – „also alle, die noch kleinere oder jüngere Kinder haben, äußerten sich, dass wir defensiv orientiert seien“. Dann seien „Aufkleber-, Flugzettel- und Plakataktionen“ diskutiert worden. S. habe diese Diskussion „ziemlich scharf“ unterbrochen: Man sei „über diesen Punkt längst hinweg“, man müsse „etwas anderes mache, er, S., hätte nicht mehr so viel Zeit“. E sei über diesen Stimmungswechsel irritiert gewesen. Auch andere hätten sich verdutzt angeschaut.

Dann habe Paul-Ludwig U. das Wort ergriffen und „auf beinah merkwürdig heitere Art und Weise mit einem für mich übertrieben hessisch klingenden Dialekt in den Raum“ geworfen, „Man müsste Moscheen machen, man müsste Moscheen machen.!“ Einer der Mitangeklagten habe widersprochen, „dass man da schnell Ärger reinbekäme, man brauche nur eine Moschee anzuzünden, dann hätte man schon Theater, da sich die Moslems untereinander nicht grün seien“. Einige Teilnehmer hätten sich empört, ein „lautstarkes Stammtischgespräch“ sei entstanden.

Einer der aus Bayern stammenden Angeklagten habe gesagt, dass man sich nicht jahrelang darauf vorbereite, um für den ‚Tag X‘ gewappnet zu sein, um nun selbst eine Situation herbeizuführen, gegen die man sich aktiv vorbereite. Dieser Haltung habe E. zugestimmt.

Angeklagter will schriftliche Fragen der Richter beantworten

Später habe dann S. überraschend in die Runde der 13 gefragt, wer zum „persönlichem Schutz bereits vorgesorgt“ und wer „bei Bedarf Interesse an einer Waffe“ habe. Mehr aus Verlegenheit habe einer der Angeklagten die Summe 50.000 Euro für den Kauf ins Spiel gebracht. S. habe dann abgefragt, wer wie viel Geld aufbringen könne. E. selbst habe 2.500 Euro „in den Raum gestellt, da ich zum Schutz meiner Familie schon lange Interesse an einer Waffe hatte“. Er habe aber nicht geglaubt, dass Steffen B., „der sichtlich zögerte, tatsächlich eine Beschaffung der Waffen umsetzen wollte“.

Für E. schloss sich hier ein Kreis: Der eine oder andere seiner Mitangeklagten könnte in ihm einen Verräter sehen, hatte er seine Einlassung begonnen: „Es gibt und gab aber nichts zu verraten“.

E. ist bereit, auf schriftliche Fragen der Richter zu antworteten.