Auf den britischen Premier Boris Johnson kommen schwierige Zeiten zu. Foto: dpa/Kirsty Wigglesworth

Boris Johnson droht schon in Kürze durch ein Misstrauensvotum als Partei- und Regierungschef gestürzt zu werden. Nicht zuletzt der von ihm ankündigte Rechtsruck stößt in der eigenen Partei auf wenig Gegenliebe.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sieht sich einer rasch wachsenden Rebellion in der eigenen Partei gegenüber. Immer mehr Tory-Abgeordnete sind davon überzeugt, dass das Quorum für eine Misstrauensabstimmung bereits erreicht ist – und die Abstimmung nächste Woche stattfinden wird.

Sollte Johnson eine solche Abstimmung in der Fraktion verlieren, müsste er als Partei- und Regierungschef abtreten. Seit der Veröffentlichung des Sue-Gray-Reports zu den Lockdown-Parties in der Regierungszentrale haben ihn immer neue Abgeordnete zum Rücktritt aufgefordert, darunter hochrangige Tories wie der frühere Generalstaatsanwalt Jeremy Wright. Auch die konservativen Vorsitzenden des Justiz-, des Verteidigungs- und des Außenpolitischen Ausschusses im Unterhaus haben sich offen für ein unverzügliches Ende der Amtszeit Johnsons ausgesprochen. Insgesamt müssen mindestens 54 Fraktionsmitglieder eine Misstrauensabstimmung gutheißen, bevor diese stattfinden kann. 28 Tories haben nach eigener Auskunft die Abstimmung schriftlich gefordert. Die übrigen Anträge sollen vertraulich eingereicht worden sein.

Das Parlament tagt diese Woche nicht

Nur der Vorsitzende des zuständigen Fraktionsausschusses „1922 Committee“, Sir Graham Brady, weiß, wann die 54 „Briefe“ an ihn eingetroffen sind und wann er eine Abstimmung ansetzen muss. Vermutet wird, dass Brady das Erreichen des Quorums in einem solchen Fall nächste Woche bekannt geben würde. Diese Woche tagt das Parlament nicht. Und die Jubiläumsfeiern der Queen will Brady wohl auch kaum stören. Einige eher skeptische Rebellen erklärten am Dienstag, sie erwarteten die Abstimmung über Johnson erst Ende Juni – so sich gegenwärtige Voraussagen erfüllen und ihre Partei bei zwei parlamentarischen Nachwahlen am 23. Juni dramatisch verliert. Generell wächst jedenfalls derzeit das Gefühl in der Fraktion, dass die nächsten Unterhauswahlen mit Johnson nicht zu gewinnen sind.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verbotene-lockdown-partys-johnson-verliert-unterstuetzung-weiterer-abgeordneter.8de55844-5c4c-4b37-95f7-53127878bcae.html

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In der Gesamtbevölkerung, aber auch unter Tory-Wählern, genießt Johnson kaum noch Respekt. Er ist allen Umfragen zufolge gänzlich unpopulär geworden. Der Londoner „Times“ zufolge würde er, wenn heute Wahlen wären, sogar seinen eigenen Wahlkreis Uxbridge, im Westen Londons, verlieren.

Auch viele seiner Fraktionskolleginnen und -kollegen fürchten, dass sie nach den jüngsten Enthüllungen über die Lockdown-Partys ihre Wahlkreise verlieren könnten. Im Süden Englands rechnen sich die Liberaldemokraten, im Norden die Labour Party gute Chancen gegen die Konservativen aus.

„Der gegenwärtigen Entwicklung zufolge werden wir die nächsten Wahlen verlieren“, ist sich Tobias Ellwood sicher, der den Verteidigungsausschuss leitet. „Nicht nur herrscht Besorgnis, was die Verhaltensweisen in No. 10 Downing Street angeht – weil man damit mächtig Vertrauen verloren hat in der Bevölkerung. Es gibt jetzt auch Sorgen zur Politik in No. 10.“

Johnson will scharf nach rechts steuern

Gemeint ist, dass Johnson zu Beginn dieser Woche signalisiert hat, dass er scharf nach rechts steuern will, um neue Wählerstimmen für die Tories zu mobilisieren. Unter anderem hat die Regierung angekündigt, dass sie das Nordirlandprotokoll des Brexit-Abkommens mit der EU einseitig ändern möchte. Von den Flüchtlingen, die in kleinen Booten „illegal“ über den Ärmelkanal kommen, sollen immer mehr zur zwangsweisen Weiterbeförderung nach Ruanda ausgewählt werden. Auch will Johnson zu imperialen Maßeinheiten zurückzukehren. Ein Minister, der lieber ungenannt bleiben wollte, nannte dies „völlig bekloppt“.

Die meisten seiner Minister haben Johnson bisher in Schutz genommen. Außenministerin Liz Truss erklärte, sie stehe „zu 100 Prozent hinter dem Premier“. Nordirlandminister Brandon Lewis meinte, er glaube nicht, dass es wirklich zu einer Misstrauensabstimmung kommen werde, weil dies „nicht im Interesse des Landes oder der Konservativen Partei“ läge. Und selbst wenn es zu einer solchen Abstimmung käme, könnte sich Johnson am Ende wohl behaupten, glauben dessen Verbündete.