Carlo Ancelotti trifft im Endspiel der Königsklasse mit Real Madrid auf den FC Liverpool. Foto: IMAGO/Alterphotos/IMAGO/Acero

Gegen Manchester City sieht der Trainer von Real Madrid schon wie der sichere Verlierer aus. Doch dann dreht der Italiener auch mit seinen Einwechslungen das Spiel – und steht im Finale der Champions League.

Es hat am späten Dienstagabend unter den 61 000 Zuschauern im Estadio Santiago Bernabéu etliche Fans gegeben, die aufgrund einer Fehleinschätzung ganz freiwillig auf das Beste verzichtet haben. Der Schachweltmeister und bekennende Real-Madrid-Anhänger Magnus Carlsen zählte nicht dazu. „Unterschätze nie das Herz eines Champions“, twitterte der Norweger daher an die Adresse derjenigen, die bereits kurz vor Ende der regulären Spielzeit die Arena verließen, und in Richtung der Madrider U-Bahn-Linie 10 strebten.

Es war zu einem Zeitpunkt, als die Königlichen in ihrem Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Manchester City nach dem Treffer von Riyad Mahrez (73.) noch mit 0:1 in Rückstand lagen. Und tatsächlich bedurfte es schon einer rosaroten Vereinsbrille, um Real noch ein Happy-End zuzutrauen. Schließlich lag ManCity, das Team des Taktiktüftlers Pep Guardiola, in diesem Moment aufgrund des 4:3-Sieges aus dem Hinspiel nicht nur zwei Tore bis zu einer möglichen Verlängerung vorne – es spielte auch trotz des diesmal formschwachen Regisseur Kevin de Bruyne zwar keinen überragenden, aber dennoch den besseren und dominanteren Fußball.

Ein Doppelschlag bringt die Wende

Letztlich hat der frisch gekürte spanische Meister die Partie mit einem fantastischen Finish aber doch gedreht: Durch einen Doppelpack (90./90.+1) des brasilianischen Leichtgewichts Rodrygo („Wir waren schon tot“) erzwang Real erst die Verlängerung. Der verwandelte Elfmeter von Karim Benzema, dem mit Abstand wichtigsten Spieler der Saison, zum 3:1 in der Verlängerung (95.) bedeutete letztlich die Tickets für das Finale am 28. Mai in Paris, wo nun der FC Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp als Gegner wartet.

Doch all die abtrünnigen Fans, die bereits nach dem Ausgleich zum 1:1 wieder ins Stadion wollten, sie durften nicht wieder rein ins Bernabéu. Und zwar, weil dies eine Regelung des Clubs so vorsieht. Viele schauten sich die Aufholjagd trotz gültiger Tickets vor verschlossenen Toren auf dem Handy an.

„Keiner hätte gedacht, dass Real Madrid in dieser Saison noch mal ein Finale spielt“, sagte Trainer Carlo Ancelotti nach Schlusspfiff – und stellte mit einem Ausdruck der Genugtuung fest: „Jetzt sind wir drin.“ Tatsächlich war der 62-jährige Trainer-Guru aus Italien, der sich vier Spieltage vor Saisonschluss mit 15 Punkten Vorsprung auf den FC Barcelona Reals 35. spanische Meisterschaft gesichert hatte, der große Triumphator dieser besonderen Fußballnacht.

Meister in den fünf großen Ligen

Ein „Meister aller Klassen“ (Magazin „Elf Freunde“) ist der Sohn eines Milch- und Käsebauern aus der Emilia-Romagna längst. Mit dem FC Bayern reichte es für Ancelotti 2017 zwar „nur“ zur Meisterschaft. Nun ist der Italiener aber der einzige Chefcoach, der in den fünf großen europäischen Ligen, in Spanien (2022 mit Real), Frankreich (2013 mit Paris Saint-Germain), England (2010 mit Chelsea), Italien (2004 mit dem AC Mailand) und Deutschland den nationalen Titel holte.

„Magie schlägt Kontrolle“ resümierte der englische „Guardian“ hinterher treffend, als Ancelotti auch das Trainer-Duell mit Pep Guardiola für sich entschieden hatte. Während der Katalane auf Ballbesitz setzte und mit ManCity nun bereits im sechsten Anlauf gescheitert ist, den Henkelpott zu holen, vertraute der Italiener seinen erfahrenen Stars.

Er bezog sie gar mit ein, so wie etwa Toni Kroos, 32, nach dessen Auswechslung (68.). Am Ende bewies Ancelotti ein mehrfach goldenes Händchen. Für Kroos war bereits der spätere Doppeltorschütze Rodrygo gekommen – doch auch die anderen Einwechselspieler stachen. „Der Trainer hatte selbst ein paar Zweifel, wen er noch bringt und wen nicht“, erzählte Kroos nach Schlusspfiff: „Er ist einfach so, dass er nicht sagt: ‚Das mache ich’ – sondern dass er uns da mit reinholt.“

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Derweil hatte sein Gegenüber zwar keinen groben Coachingfehler begangen. Trotzdem war Guardiola, 51, der beinahe sichere Sieg entglitten. „Peps Albtraum!“, schrieb der „Daily Mirror“, während Guardiola resümierte: „Es ist grausam. Wir werden etwas Zeit brauchen, um das zu verarbeiten. Aber wir müssen wieder aufstehen.“ In der Tat: Bereits am Sonntag steht für die Citizens gegen Newcastle United ein weiteres wichtiges Spiel im Titelfernduell mit dem FC Liverpool in der Premier League an.

Die Reds wiederum sind nun auch der letzte mögliche Stolperstein für Real, das am 28. Mai in Paris den achten Champions-League-Titel der Clubgeschichte ansteuert. Das Finale ist dabei eine Wiederauflage des Duells von 2018, als Real vom indisponierten Liverpool-Keeper Loris Karius profitierte – und 3:1 gewann. Doch auch die Madrilenen haben ihrerseits schon Rückschläge weggesteckt. Zuletzt eben gegen City, als Teile der eigenen Fans nicht mehr an sie glaubten.

Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist

Carlo Ancelotti weiß dagegen längst: „Die Geschichte dieses Clubs hat sicher etwas damit zu tun, dass wir weitermachen, wenn es so aussieht, als wäre alles vorbei.“