Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) tanzt sich an die Spitze. Foto: Alamode Film - Alamode Film

Viele haben Rudolf Nurejew auf der Ballett-Bühne zugejubelt, doch sie sahen den Künstler – den Menschen kannten sie nicht. Mit dem Drama „Nurejew – The White Crow“ setzt der britische Regisseur und Schauspieler Ralph Fiennes dem Ausnahmetalent ein filmisches Denkmal.

EsslingenEs ist der März des Jahres 1938. Mit rhythmischem Stampfen rattert die Transsibirische Eisenbahn durch das Land. Die Menschen im Zug essen, trinken, schlafen, reden. Doch in einem Waggon geschieht etwas Besonderes: Ein Baby wird geboren. Ein dramatischer Lebensbeginn für den kleinen Rudi, der die Welt später in Erstaunen versetzen wird als einer der berühmtesten Tänzer seiner Zeit. Mit dem Drama „Nurejew – The White Crow“ setzt der britische Regisseur und Schauspieler Ralph Fiennes dem Ausnahmetalent ein filmisches Denkmal. Und er erzählt ein Stück Zeitgeschichte aus der politisch brisanten Zeit des Kalten Krieges, setzte sich Rudolf Nurejew doch 1961 bei einer Auslandstournee seiner Compagnie in den Westen ab, um die Freiheit leben zu können, die er wie viele andere Künstler im strengen Regime seiner sowjetischen Heimat vermisste.

„Nurejew – The White Crow“ ist ein vielschichtiges, spannendes Drama mit großartigen Tanzszenen. Es geht um den Mut, Neues zu wagen und um die Kraft, nicht den Glauben an sich selbst zu verlieren. Erzählt wird in drei Zeitebenen, die Fiennes geschickt verwebt. Nurejews bitterarme Kindheit in Russland, in der das Ballett wie ein ferner Traum erscheint. Seine Aufnahme am Choreografischen Institut Leningrad, einer Talentschmiede von Weltrang. Schließlich sein Aufstieg, vorangetrieben durch den Wunsch, mit gewagten, kraftvollen Sprüngen und völlig neuer Tanztechnik das Männerballett zu revolutionieren. Doch trotz seines Ruhms fühlt er sich gefangen in der engen sowjetischen Welt – trotz seiner Tourneen. Begeistert durchstreift er Paris, stiehlt sich in Museen und Jazzclubs und lernt mit Hilfe von Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) neue Leute kennen – sehr zum Leidwesen der KGB-Spione, die ihn rund um die Uhr verfolgen. Dramatischer Höhepunkt: Der spontane Entschluss, in Paris zu bleiben und sich dem Befehl der Regierung zu widersetzen, die ihn am Flughafen wie einen Gefangenen in die Sowjetunion zurückbringen lassen will, notfalls mit Gewalt.

„Das war eine klare Opposition gegen ein ideologisches Regime, das glaubt, dass die Gemeinschaft alles ist und das Individuum gar nichts“, sagt Fiennes. Der Brite zeichnet ein interessantes Bild des umjubelten Tänzers, zeigt ihn als ehrgeizigen jungen Mann, der erbarmungslos das Letzte aus sich herausholt und mit kindlichem Staunen die Glitzerwelt in Paris bewundert. Und er erzählt einfühlsam, wie Nurejew seine Liebe zu Männern entdeckt. Drehbuchautor David Hare lernte den Tänzer einmal kennen, allerdings nicht von seiner besten Seite: „Der Nurejew, den ich traf, galt bereits als Monster, als schwierig und herrisch.“ Beim jungen Nurejew im Film sind diese Wesenszüge schon angedeutet. „Es ist das Porträt des Künstlers als junger Mann mit all seinen rauen Kanten, seiner Einsamkeit, seiner Fantasie und seinen Dummheiten“, sagt Fiennes. „Er hatte etwas Unangenehmes und Rücksichtsloses an sich, aber so ist nun mal die Jugend, die sich selbst verwirklichen will. Und ich finde das sehr bewegend.“ Nurejew führte ein intensives Leben. Später infizierte er sich mit dem HI-Virus und starb 1993 mit gerade mal 54 Jahren in Paris.

Erst war der wegen angeblich homophober Äußerungen umstrittene Ballettstar Sergej Polunin für die Rolle im Gespräch, doch Fiennes wollte bewusst einen unbekannten Darsteller und gab Polunin eine kleinere Rolle. Den Part des Nurejew bekam der unbekannte ukrainische Tänzer Oleg Ivenko von der Tatar State Ballet Company, der diese schwierige Aufgabe mühelos meistert und eine tolle Darbietung abliefert. Diese Entscheidung erschwerte die Finanzierung des Films, wollten die Investoren lieber große Namen. Fiennes, berühmt für Filme wie „James Bond“ oder „Harry Potter“, ging einen Kompromiss ein und übernahm selbst eine Rolle als Nurejews Tanzlehrer Puschkin, wofür er sogar Russisch lernte.

Rudolf Nurejew gilt als einer der besten Tänzer des 20. Jahrhunderts. Mit Ehrgeiz und eiserner Disziplin tanzte er sich an die Spitze. Seine Lebensgeschichte verlief hochdramatisch. Ralph Fiennes drehte darüber einen spannenden Film.