Rennen auf der Rolle: Auch Mathieu van der Poel startet bei der virtuellen Tour de France. Foto: imago

Ein Juli ohne Radrennen ist für die Macher der Frankreich-Rundfahrt nicht vorstellbar, also starten sie einen ganz besonderen Online-Wettkampf. Die Besetzung ist prominent.

Stuttgart - Das Wort von Christian Prudhomme hat Gewicht in Frankreich. Wenn der mächtige Boss der Tour de France sich äußert, findet er Gehör – auch in den höchsten Kreisen von Politik und Wirtschaft. In der Corona-Krise hatte Prudhomme einiges zu sagen, zum Beispiel, dass sein Radrennen zwar nicht von Zuschauern lebe, ein Leben ohne Zuschauer aber undenkbar sei. Also wurde die Grand Boucle um neun Wochen verschoben, nun soll es am 29. August in Nizza losgehen. Noch steht nicht fest, unter welchen Bedingungen, doch dass die Fans komplett ausgeschlossen werden, ist ziemlich unwahrscheinlich. Hauptsächlich, weil in Frankreich ab 11. Juli Freiluft-Sportveranstaltungen mit bis zu 5000 Zuschauern wieder offiziell stattfinden dürfen. Aber auch, weil die Macher der Tour de France der Überzeugung sind, dass ihre Sache größer und stärker ist als ein unsichtbares Virus.

Längst laufen deshalb die Vorbereitungen für den Start an der Côte d’Azur, und auch sonst gab es zuletzt einiges zu tun in der Schaltzentrale der wichtigsten Rundfahrt der Welt. Weil der Chef noch einen anderen wichtigen Satz gesagt hatte. „Einen Juli ohne Radrennen“, meinte Christian Prudhomme, „kann ich mir nicht vorstellen.“ Folglich wird es auch in diesem Juli eine Tour de France geben – virtuell.

Animationen von legendären Streckenabschnitten

Das Konzept, so viel ist klar, passt in die Zeit: E-Sport boomt allerorten, viele Radler haben in der Pandemie ohnehin zu Hause auf der Rolle trainiert, alle sind heiß auf Wettkämpfe. Also haben sich die Organisatoren mit der bekannten Online-Trainingsplattform Zwift zusammengetan, die für ihre App sogleich Animationen von legendären Streckenabschnitten der Tour programmiert hat. Zum Beispiel vom Aufstieg zum Mont Ventoux oder von der traditionellen Zielgerade auf der Avenue des Champs-Élysées in Paris. Der Startschuss fällt an diesem Samstag, insgesamt werden an drei Wochenenden nacheinander jeweils zwei rund einstündige Etappen ausgefahren. Wobei das Peloton höchst prominent besetzt ist.

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Für die virtuelle Frankreich-Rundfahrt zugesagt haben laut Ausrichter 23 Männer-Teams, darunter auch der stärkste deutsche Rennstall Bora-hansgrohe. Dabei sein werden bei den Wettkämpfen auf Zwift neben den drei Tour-Siegern Egan Bernal, Geraint Thomas und Chris Froome (alle Ineos) zum Beispiel auch Julian Alaphilippe (Quickstep), Richie Porte (Trek-Segafredo), Olympiasieger Greg van Avermaet (CCC), Mathieu van der Poel (Alpecin-Fenix), Nairo Quintana, Warren Barguil (Arkéa-Samsic) oder Romain Bardet (AG2R). Eurosport überträgt alle sechs Etappen live. Zudem findet an den drei Wochenenden auf den identischen Online-Strecken ein ebenfalls bestens besetztes Etappenrennen für Frauen statt (unter anderem mit Olympiasiegerin und Weltmeisterin Marianne Vos sowie Lisa Brennauer), und auch an die Freizeitradler haben die Organisatoren gedacht: für sie gibt es auf den Strecken der Profis ein eigenes Rennen – die „L’Étape du Tour de France Virtual“.

Die Wartezeit sinnvoll nutzen

Nun sollte man den sportlichen Wert eines solchen E-Sport-Wettkampfes sicherlich nicht zu hoch hängen – man darf aber auch nicht den Fehler machen, den Ehrgeiz von Radprofis zu unterschätzen. Egal in welchem Rennen. Dazu kommt, dass die Etappen nicht nur in 130 Länder übertragen werden. Sondern auch, dass wie bei der echten Frankreich-Rundfahrt Wertungstrikots in Gelb (Gesamtführender), Grün (bester Sprinter), Rot-gepunktet (bester Bergfahrer) und Weiß (bester Jungprofi) vergeben werden. Um sie dürfte auch online hart gekämpft werden. Was nur zeigt: Eine virtuelle Tour de France kann eine richtige Tour de France nicht ersetzen. Aber die Wartezeit allemal auf sinnvolle Art und Weise verkürzen.

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