Der Moment vor dem Crash: Fabio Jakobsen (li.) wird abgedrängt und knallt ungebremst in die Absperrung. Foto: AP/Tomasz Markowski

Am kommenden Wochenende sollte die komprimierte Radsport-Saison so richtig beginnen – mit tollen Rennen und viel Glanz. Daraus wird nun nichts – aus fürchterlichen Gründen.

Stuttgart/Kattowitz - Wie viele andere Sportarten ist auch der internationale Radsport gebeutelt von der Corona-Krise. Die Klassiker, die Rundfahrten, die nationalen Meisterschaften – allesamt verschoben in die zweite Jahreshälfte, in der nun ein geballtes Programm auf die Pedaleure wartet. Erstmals so richtig glanz- und freudvoll soll es am Samstag zugehen. Doch noch bevor das Traditionsrennen Mailand–San Remo gestartet wird, dominieren ganz andere Nachrichten die Radsportwelt. Es sind die schlimmsten, die es geben kann. Es sind jene, in denen es um Leben und Tod geht.

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Am vergangenen Samstag befand sich Jan Riedmann auf einer Trainingsfahrt, als ihm ein 58-jähriger Autofahrer die Vorfahrt nahm – und für eine Tragödie sorgte. Der 17-Jährige vom deutschen Bora-hansgrohe-Rennstall erlitt schwerste Kopfverletzungen, denen er am Tag nach dem Unfall erlag. „Es ist erschütternd“, klagte Marcus Burghardt, Riedmanns Teamkollege, der am Mittwoch die nächste schlimme Nachricht für die Branche zu verdauen hatte.

Mittlerweile außer Lebensgefahr

Auf dem ersten Teilstück der Polen-Rundfahrt war der Zielsprint um den Etappensieg in vollem Gange. Fabio Jakobsen, ein 23-jährige Niederländer aus dem Team Deceuninck-Quick Step, löste sich aus dem Windschatten von Dylan Groenewegen, war fast gleichauf mit seinem Landsmann, als dieser Jakobsen nach rechts drängte. Was folgte, waren einer der fürchterlichsten Stürze überhaupt, jede Menge Vorwürfe – und große Sorgen um das Leben des jungen Holländers.

„Es ist bedroht“, sagte am Mittwoch die Rennärztin Barbara Jerschina. Patrick Lefevere, Jakobsens Teamchef erklärte: „Wir beten, dass er überlebt.“ Nach einer fünfstündigen Operation gab es dann leichte Entwarnung für den Jungprofi, der bei Tempo achtzig in die Bande gekracht war. „Ernst, aber stabil“ sei die Situation, meinte Renndirektor Czeslaw Lang, Lefevere ergänzte: „Nachdem ich mit dem Krankenhausdirektor gesprochen habe, bin ich etwas erleichtert.“ Der Belgier sagte aber auch: „Alle Knochen in seinem Gesicht sind gebrochen.“ Weshalb er schwere Vorwürfe erhob.

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Adressat war Dylan Groenewegen. „Das war ein krimineller Akt. Er gehört dafür in den Knast“, twitterte Lefevere am Mittwoch. Am Tag danach nahm er keines seiner Worte zurück, sondern sprach von einem „Mordversuch“: „Wir werden Schritte unternehmen, um bei der UCI und der Polizei Anzeige zu erstatten.“ Der Weltverband (UCI) leitete den Fall an seine Disziplinarkommission weiter. Zuvor war Groenewegen, der wie viele andere Fahrer ebenfalls zu Fall gekommen war, disqualifiziert worden. Am Donnerstag twitterte er: „Ich finde es schrecklich, was gestern passiert ist. Ich denke ständig an Fabio.“ Sein Team teilte mit: „Wir entschuldigen uns aufrichtig. Wir werden den Vorfall intern besprechen, bevor wir weitere Aussagen tätigen.“ Eine deutliche Aussage tätigte derweil Simon Geschke.

Schon einmal ein Todesfall bei der Polen-Rundfahrt

Der Berliner Profi nahm dabei nicht Groenewegen ins Visier, sondern die Veranstalter. „Jedes Jahr der selbe dumme Bergab-Sprint bei der Polen-Rundfahrt“, twitterte Geschke. Massensprints seien gefährlich genug, man brauche „kein Bergab-Finale mit 80 km/h“. Roger Kluge ergänzte in der „Lausitzer Rundschau“: „Es ist seit Jahren die Frage, ob man an dieser Stelle das Ziel machen muss.“ Und Rick Zabel meinte: „Solche Zielankünfte sollten verboten werden.“

Dass ein solches Risiko eingegangen wurde, ist auch deshalb verwunderlich, da in Polen bereits im vergangenen Jahr ein tragischer Unfall passierte. Damals starb der Belgier Bjorg Lambrecht nach einem Sturz – allerdings nicht nach einem Massensprint.

Am Donnerstag trat Jakobsens Team trotz der Geschehnisse vom Vortag zur zweiten Etappe an. Jedoch ist der Psychologe der Equipe auf dem Weg zum Team. „Das müssen wir professionell angehen“, sagte Teamchef Lefevere. Schließlich beginnt die heiße Phase der Radsportsaison erst noch.

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