Quiet vacationing heißt ein relativ neues Phänomen, das in der Arbeitswelt immer mehr Verbreitung findet. Erst die digitale Welt macht es möglich.
Urlaub machen – und im Büro weiß niemand davon? Das ist offenbar weit verbreitet, zumindest weiter als es Führungskräften lieb sein dürfte. Sich eine Auszeit gönnen, dafür aber keinen Urlaub in Anspruch nehmen, dieses Verhalten bezeichnet man neudeutsch als „quiet vacationing“. Übersetzt bedeutet das so viel wie: still, leise oder heimlich Urlaub machen.
Die Dreistigkeit geht dabei offenbar weit über das allseits bekannte „Blaumachen“ hinaus. Beim „Quiet vacationing“ wird nämlich keine Krankheit vorgetäuscht – und einfach mal daheim dem Nichtstun gefrönt –, sondern so getan, als wäre man beschäftigt. Dabei liegt der- oder diejenige vielleicht am Strand in Italien oder wandert in den österreichischen Bergen.
Quiet vacationing: besonders Millennials gehen einfach in den Urlaub
Hervor tut sich dabei vor allem eine Gruppe: die Millennials. Laut einer aktuellen Umfrage eines Marktforschungsinstituts haben in dieser Gruppe vier von zehn Teilnehmern schon einmal Urlaub gemacht, ohne das ihrem oder ihrer Vorgesetzten mitzuteilen. Befragt wurden mehr als 1000 Menschen – allerdings in den USA, nicht in Deutschland. Im Vergleich dazu gaben das nur 24 Prozent der Generation Z und der Generation X an. Die Umfrage wurde online zwischen dem 26. und 28. April von „The Harris Poll“, einem amerikanisches Marktforschungs- und Analyseunternehmen, durchgeführt .
Die Ergebnisse dürften auch ein Stück weit auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt und dessen Rahmenbedingungen zurückzuführen sein. Einen gesetzlichen Anspruch auf eine Mindestanzahl an Urlaubstagen gibt es dort nicht. Durchschnittlich haben Angestellte in den USA zwischen 10 und 14 Tage frei im Jahr – das ist weniger als der weltweite Durchschnitt.
Urlaub ohne Urlaub zu nehmen: Was sind die Gründe?
Überraschend ist im Hinblick darauf, dass viele der Befragten (78 Prozent) angaben, selbst den (wenigen) Urlaub, der ihnen zusteht, nicht zu beanspruchen. Die Gründe, die sie angaben, sind teilweise schwer nachzuvollziehen. Darunter waren:
- ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken daran, sich offiziell frei zu nehmen
- ein schlechtes Gewissen gegenüber Kollegen und Kolleginnen, die durch die Abwesenheit zusätzlich belastet werden
- Hemmungen, bei offizieller Abwesenheit wichtige Entwicklungen zu verpassen
- das Gefühl, konstant erreichbar sein zu müssen
- das Arbeitspensum erlaubt im Alltag keine ordentliche Pausen
Diese Gründe führen laut den Autoren der Studie dazu, dass vor allem Millennials die Sache mit dem Urlaub „selbst in die Hand nehmen“, statt die Probleme im Job bei den Vorgesetzten anzusprechen. „Während die Generation Z dazu neigt, sich lautstark über eine Unternehmenskultur zu beschweren, die Menschen einschüchtert, wenn sie um eine Auszeit bitten, nehmen Millennials die Dinge lieber selbst in die Hand. Sie werden eine Work-Life-Balance finden, die zu ihnen passt, aber das geschieht hinter den Kulissen“, sagt Libby Rodney von „The Harris Poll“ zu den Umfrageergebnissen.
Quiet vacationing: auch in Deutschland ein Problem?
Und wie sieht das ganze in Deutschland aus? „Ich sehe durchaus eine Zunahme solcher Fälle in Deutschland“, sagte Jens Niehl, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei ebl esch&kramer gegenüber dem Managermagazin. „In vielen Firmen wundern sich Vorgesetzte, dass sie Mitarbeitende nicht erreichen können, obwohl im System oder auf den Kommunikationskanälen angezeigt wird, dass sie arbeitsbereit sind.“ In diesen Zusammenhang passt auch, dass viele Unternehmen ihre Beschäftigten wieder vermehrt in Büro bitten und die Regeln für das Homeoffice verschärft werden.
Laut der Studie aus den USA taten, diejenigen, die den Arbeitszeitbetrug begingen, teils viel dafür, um nicht erwischt zu werden. So werden etwa Zeiterfassungssystem genutzt, obwohl gar nicht gearbeitet wird; mit entsprechenden Programmen – oder manuell – dafür gesorgt, dass in entsprechenden Messagingdiensten (beispielsweise Teams oder Slack) der Status „online“ für andere Nutzer zu sehen ist, oder vorprogrammierte Mails versendet, um Arbeitseifer vorzutäuschen.
Ein solcher Arbeitszeitbetrug ist im übrigen ein Kündigungsgrund – und zwar fristlos. Allerdings ist der Arbeitgeber in der Pflicht die Verletzung zu beweisen, notfalls auch vor Gericht.