Die Musiker des französischen Quatuor Ébène Foto: Julien Mignot

Das Quatuor Ébène hat im Stuttgarter Mozartsaal Beethoven gespielt, wie man ihn spannender nicht spielen kann.

Stuttgart - Am Anfang ist alles wüst und leer. Dann entstehen Licht und Form: Aus einer einzigen, traurigen, tastenden Melodie, einem Fugenthema, dem kein zweites Thema entgegensteht, erschafft Beethoven in seinem vorletzten vollendeten Werk musikalisches Leben und vollkommene Entgrenzung. Das Eingangs-Adagio des Streichquartetts op. 131 spinnt sich unendlich fort, und wenn Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme (die 2017 neu dazukam) und Raphael Merlin das cis-Moll-Quartett spielen, dann markiert dieses nicht etwa einen Weg ins Innere, sondern es ist schon dort: in absoluter Stille. Indem das Thema langsam durch die vier Instrumente wandert, erlebt man viermal den wuchtigen Terzschritt abwärts, die Katastrophe des jähen Absturzes.

Zuhörend könnte man verzweifeln ob dieser umwerfenden Traurigkeit. Das tut man bei dem – wie so oft bei diesem Streichquartett – denkwürdigen Konzert am Mittwoch im Mozartsaal auch immer wieder, denn kaum ein Ensemble spielt so intensiv und so packend wie das Quatuor Ébène, das sich seit seinem Kantersieg beim ARD-Wettbewerb 2004 an der Spitze der Streichquartett-Szene etabliert hat. Aber die Qualität der Franzosen liegt nicht nur in ihrer Fähigkeit, gemeinsam emotionale Hochspannung zu erzeugen, sondern auch in ihrer ausgefeilten Art des Miteinanders, das oft einer klingenden Analyse gleichkommt.

Gelungene Balance von Emotion und Kontrolle

Welche Stimme, welcher Ton ist gerade am wichtigsten? Hör zu, da sind sie, und alles andere ordnet sich unter. Wo sind Farbwechsel wichtig, wo kleine Änderungen in Tempi und Dynamik, um Kontraste, Richtungswechsel zu markieren? Ohren auf: Das hier ist später, radikaler, hermetischer Beethoven, rätselhafte Musik in Fragmenten, aber es liegt ein roter Faden im Klanggeröll. Ihn ziehen die Musiker auch durch die folgenden Sätze. Und allen, auch den heiteren, pflanzen sie irgendwo einen Stachel ein. Zum Beispiel wird kurz vor Ende des fünften (Presto-)Satzes, der luftig dahinhuscht, als sei er ein Scherzo von Felix Mendelssohn, plötzlich am Steg der Instrumente, gespielt, scharf, schrill – unvermittelt erscheint das Schöne bedroht. Ein Gänsehaut-Moment, den die vor Kurzem erschienene Beethoven-Gesamtaufnahme des Quatuor Ébène übrigens nicht annähernd so packend konserviert. In einer gelungeneren Balance von Emotion und Kontrolle als jetzt live in Stuttgart kann man das op. 131 nicht spielen.

Zu hören ist auch das frühe G-Dur-Quartett op. 18/2, dessen Beinamen „Komplimentierquartett“ die Ébènes freundlich, aber entschieden ad absurdum führen. Schon im ersten Satz geht es mehr um Suchen denn um Finden – von galanter Beiläufigkeit und Haydn-Epigonentum kann nicht die Rede sein. Die Lust am Risiko, die gelegentliche intonatorische Kollateralschäden in Kauf nimmt, ist für die Zuhörer Teil des Genusses. Hier spielen vier Menschen. Unglaublich!