Johnny Rotten alias John Lydon 2008 bei einem Auftritt in Polen Foto: dpa/Turczyk

Unter dem Namen Johnny Rotten schockierte John Lydon als Frontmann der Punkband Sex Pistols 1977 die Welt. Nach der Pandemie will er wieder auf Tournee gehen.

London/Los Angeles - Seinen Geburtstag will John Lydon auch diesmal. „Das hab ich noch nie gemacht“, sagt die Punk-Ikone. „Ich weiß noch, wie ich Rotz und Wasser geheult habe, als ich 21 geworden bin.“ Damals waren die Sex Pistols nicht nur in Großbritannien berüchtigt. Die Punkband sorgte für einigen Aufruhr, und Lydon gab unter seinem Pseudonym Johnny Rotten den Provokateur vom Dienst. Ein Rebell ist er noch immer, wie die aktuelle Doku-Reihe „The true Story of Punk“ auf ZDF neo zeigt – obwohl er darin auch selbstkritische Töne anschlägt.

Vor seinem 65. Geburtstag am 31. Januar hat Lydon seine Familie und Freunde gewarnt: „Sie wissen, dass sie mich an meinem Geburtstag nicht anrufen sollen. Aber sie tun es natürlich trotzdem. Und ich freue mich natürlich drüber“, sagt er und lacht. „Ich freue mich auch, dass ich gesagt habe, sie sollen es lassen, und sie nicht auf mich gehört haben.“

Ein Anführer der Punk-Revolution

Bloß nicht anpassen, bloß nicht unterordnen – das war schon immer Lydons Motto. Als die Punkfans in den 70ern den Look der Sex Pistols kopierten, ärgerte er sich darüber, denn er empfand es als Uniformierung. Er änderte daraufhin seinen Kleidungsstil und trat bei manchen Konzerten sogar im Pinocchio-Kostüm auf, um sein Publikum zu irritieren.

Als aggressiver Rüpel Johnny Rotten war der in London geborene Sohn irischer Einwanderer in den 70er Jahren eine absolute Reizfigur. Der benachteiligte, stille Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen überwand seine Schüchternheit und wurde im von Rezession und Arbeitslosigkeit geplagten England zu einem Anführer der Punk-Revolution.

Konflikt mit den Royals

Nur knapp drei Jahre blieben die Sex Pistols zusammen. Im Januar 1978 zerbrach die Band auf einer US-Tour. „Wir hatten die Nase richtig voll voneinander“, erinnert sich Lydon. Obwohl die Sex Pistols damals nur ein einziges Album veröffentlicht hatten – den zeitlosen Klassiker „Never Mind the Bollocks“ (1977) – zählen sie zu den bekanntesten und einflussreichsten Bands der Musikgeschichte.

Ihre provokanten Texte schockierten das britische Establishment. Insbesondere die Single „God Save The Queen“ – mit der Zeile „the fascist regime“ (das faschistische Regime) – erzürnte viele Briten. Die ehrwürdige BBC weigerte sich, den Song, den die Punk-Chaoten passend zum silbernen Thronjubiläum von Königin Elizabeth II. veröffentlichten, in ihrer wöchentlichen Hitparade zu spielen.

Provokateur auch in Interviews

Die Royals sieht Lydon bis heute kritisch: „Ich hatte nie etwas gegen sie als Menschen“, stellt er klar, „sondern ich hatte etwas gegen die Institution. Und damit hab ich mir viele Feinde gemacht.“ Er wurde auf der Straße bepöbelt, sogar mit dem Messer angegriffen. „Davon stand nie etwas im Handbuch „Wie man ein Popstar wird“, sagt Lydon, der ein entschiedener Gegner von Gewalt ist.

Als Kind musste er häufig einstecken, Nachbarskinder hatten es auf den schüchternen Jungen abgesehen. Sein Vater habe ihm beigebracht Kontra zu geben, sagt er. Diesen Ratschlag nahm er sich auch als Punk-Musiker zu Herzen und trieb in Interviews er regelmäßig – und mit Genuss – Gesprächspartner zur Verzweiflung.

Gedächnisverlust als Siebenjähriger

John Joseph Lydon, der heute abwechselnd in Malibu und Venice Beach und nur noch selten in seiner Heimatstadt London lebt, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit seinen Eltern und drei jüngeren Brüdern, um die er sich als Teenager oft kümmerte, lebte er in einer nach eigenen Worten „hundsmiserablen Nachbarschaft“ in Nord-London.

Mit sieben Jahren fiel er durch eine Hirnhautentzündung ins Koma und verlor sein Gedächtnis. Nicht einmal seine Eltern erkannte er wieder. Das traumatische Erlebnis prägte ihn fürs Leben. „Ich habe immer noch Albträume, wenn ich schlafen gehe“, sagt er, „dass ich aufwachen könnte, und dann nicht mehr weiß, wer ich bin.“

Er pflegt seine Demenzkranke Frau

Heute helfe ihm diese Erfahrung, sagt Lydon, denn seine Frau Nora ist demenzkrank. Er will sie pflegen, solange es noch ohne professionelle Hilfe geht. „Ich schaue zu, wie der wunderbarste Mensch auf der Welt langsam abbaut, und es ist unglaublich schmerzhaft für mich“, sagt der Sänger. „Das ist kein Jammern, das ist nur die Realität.“ Während des Interviews bittet er um eine Pause, um sich um Nora zu kümmern.

Seit über 40 Jahren ist er mit der 15 Jahre älteren Deutschen verheiratet, die er liebevoll Babby nennt. Gemeinsame Kinder hat das Paar nicht, was Lydon bedauert. „Aber vielleicht war es besser so“, sagt er. „Ich glaube, wir waren zu der Zeit vielleicht beide zu egoistisch und egozentrisch, um ein Kind vernünftig großzuziehen.“

Die nächste Tournee ist schon geplant

Die Vaterrolle übernahm er dennoch für ein paar Jahre. 2000 bekam das Paar das Sorgerecht für Noras Enkel. Die Zwillingssöhne der 2010 gestorbenen Punk-Sängerin Ari Up waren damals im Teenager-Alter und rebellierten. „Denen hat meine autoritäre Position zuhause nicht gefallen: Tut mir leid, aber ihr dürft hier nichts kaputtmachen!“, sagt Lydon. „Aber sie sind zu liebenswerten Menschen herangewachsen.“

Musikalisch ging es für Lydon nach den Sex Pistols direkt weiter. Im Jahr der Trennung 1978 gründete er die experimentelle Postpunk-Band Public Image Ltd., kurz PiL. Die hatte ihren größten Hit 1983 mit „This is not a Love Song“. Die Band ist bis heute aktiv, nach der Corona-Pandemie will Lydon möglichst bald wieder auf Tournee gehen. „Ich muss. Es ist der Kern und das Wesen meines Seins“, sagt er. Außerdem brauche er das Geld. Vorher will er im Herbst mit seinem neuen Buch „I Could Be Wrong, I Could Be Right“ auf Lesereise durch England gehen.

Es stört ihn nicht, dass wohl alle Zeiten vor allem mit den Sex Pistols assoziiert werden wird, im Gegenteil: „Dafür werde ich ewig dankbar sein, ich bin stolz drauf“, sagt John Lydon. Es freut ihn, als Punk-Ikone und als „Godfather of Punk“ verehrt zu werden: „Bis ich abdanke, werde ich diese Krone auch nicht abgeben.“