Ist ihre Erkrankung nicht absolut akut, müssen junge Patienten meist lange auf einen Therapieplatz warten (Symbolbild). Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Wartezeit für Kinder und Jugendliche beträgt teilweise mehr als ein halbes Jahr. Die Landesregierung hat neue Klinikplätze geschaffen – warum diese nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind.

Der Andrang bei Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche und den entsprechenden Kliniken ist auch in der Region Stuttgart riesig. „Die Klinik ist vollständig ausgelastet und hat für elektive Patienten längere Wartelisten“, erklärt beispielsweise Professor Oliver Fricke, der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart. Patienten, deren Behandlung nicht absolut unaufschiebbar ist, müssen sich also lange gedulden.

An der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Winnenden sieht die Situation ähnlich aus: „Die Wartezeit schwankt saisonal, aber im Schnitt müssen Patienten auf einen Platz bei uns in der Tagesklinik sechs bis zwölf Wochen warten“, sagt der Oberarzt Dr. Joachim Diessner. „Im ambulanten oder stationären Bereich können Wartezeiten durchaus ein halbes Jahr oder mehr betragen.“

Eine wichtige Rolle spielten in dem Zusammenhang die Psychologischen Beratungsstellen. „Viele wissen gar nicht, dass diese einen Überbrückungsauftrag haben, bis eine Therapie beginnen kann“, sagt Diessner. Bei Ernährungsstörungen wie Bulimie oder Anorexie sei es aber auch wichtig, dass ein Kinderarzt mit eingebunden werde.

Die Zahl der stationären Behandlungsplätze, die in den Kliniken zur Verfügung stehen, und die der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten werden unterschiedlich festgelegt. Im Frühjahr 2022 hat eine Taskforce aus klinischen Experten, Betroffenen-Initiativen und Vertretern der Krankenkassen die baden-württembergische Landesregierung überzeugt, insgesamt 120 zusätzliche stationäre Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Laut einem Sprecher des Sozialministeriums wurde diese Zahl nachträglich noch auf 136 erhöht.

In Stuttgart wurde eine neue Staton geschaffen – andernorts geschah nichts

Unter den Kliniken, die von dieser Aufstockung profitieren, ist auch das Klinikum Stuttgart, wo am Standort Hasenbergstraße eine neue Station eingerichtet werden konnte. Laut Professor Fricke können Notfallpatienten „in der Regel indikationsgerecht versorgt werden“, bei allen anderen bleibe es auch jetzt noch bei deutlichen Wartezeiten. Andere Kliniken, etwa die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Klinikums am Weissenhof am Standort Weinsberg, gingen bei der Erhöhung dagegen leer aus.

Dazu kommt eine ergänzende Herausforderung: Bevor es weitere Aufstockungen gibt, müssen die neu geschaffenen Kapazitäten erst bei den Patienten ankommen. Denn auch in diesem Bereich macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar: „Aktuell sind etwa zwei Drittel dieser Plätze beziehungsweise Betten in Betrieb genommen“, so der Sprecher des Ministeriums. Die Krankenhäuser hätten die „zeitnahe Inbetriebnahme“ der weiteren Betten kommuniziert. „Die Krankenhäuser sind dabei, entsprechendes Personal zu gewinnen. Auch Bund und Länder sind dabei, hier entgegenzusteuern.“ Auch die niedergelassenen Ärzte für Jugendpsychotherapie sowie die Psychotherapeuten ächzen unter der Flut von Patienten. Immer wieder vertrösten sie daher Eltern und setzen sie auf lange Wartelisten. Die Zahl dieser Fachleute wird, anders als die Klinikbetten, vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bestimmt. Dreimal im Jahr entscheidet er beispielsweise darüber, ob ein Therapeut eine Zulassung für eine Praxis erhält oder wohin eine psychotherapeutische Praxis verlegt werden darf.

Ein Landesausschuss steuert die Zahl der Therapeuten

Ausschlaggebend für diese Entscheidungen ist unter anderem die Einwohnerzahl der jeweiligen Landkreise. Ein Blick in die Zahlen vom Oktober des vorigen Jahres zeigt deutliche Unterschiede in der Region: Im Kreis Göppingen und den ländlichen Gebieten des Kreises Heilbronn kommen rund 6400 Einwohner auf einen Psychotherapeuten. Im Kreis Schwäbisch Hall sind es rund 6200 Einwohner. In den Kreisen Ludwigsburg, Rems-Murr und Esslingen bewegt sich diese Zahl zwischen 5500 und 5700. Das ist immer noch viel, verglichen mit Stuttgart, wo – rein rechnerisch – ein Psychotherapeut auf 3200 Einwohner kommt.

In allen Landkreisen der Region geht der Landesausschuss davon aus, dass die Versorgung mit Psychotherapeuten abgedeckt ist, in einigen Landkreisen sogar eine Überversorgung besteht. In diesen Tagen debattiert der Ausschuss erneut. Dann entscheidet sich, ob und in welchen Landkreisen dennoch neue Kassensitze geschaffen werden.