Wolfgang Ertel (mitte) mit seinen Anwälten vor Gericht. Foto: dpa/Felix Kästle

Das Amtsgericht Ravensburg bestätigt einen Strafbefehl gegen einen Professor wegen einer Plakataktion. Der Fall liefert befremdliche Einblicke in die Landesbürokratie.

Als unermüdlicher Ankläger von Klimasündern ist Wolfgang Ertel bekannt, 63 Jahre alt und seit bald 30 Jahren Professor für künstliche Intelligenz, Informatik und Mathematik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Nun sitzt er selber als Angeklagter vor dem Amtsgericht Ravensburg und versucht, einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft in Höhe von 4000 Euro abzuwenden. An seinen Pullover hat er einen übergroßen Button geheftet: „Scientists for future“. Die Ortsgruppe hier hat er 2019 selber gegründet.

Protest am Nachhaltigkeitstag der Universität

Es ist einer dieser vielen Kleinprozesse ohne viel Federlesens. Anklageverlesung, ein, zwei Zeugenvernehmungen, Plädoyers, Urteil. Nächster Fall, bitte. Ertel soll sich am 11. Mai vergangenen Jahres der Abhaltung einer nicht genehmigten Versammlung auf dem Mensafreigelände seiner Hochschule schuldig gemacht haben. Offiziell herrschte dort gerade Nachhaltigkeitswoche. Mit zwei jungen Klimaaktivisten spannte er früh morgens ein Seil zwischen Baumäste und entrollte ein Transparent, womit die Energieverschwendung der Hochschule angeprangert wurde. Bilder davon wurden über soziale Medien verteilt. Die Polizei kam vor Ort.

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Ertel erklärt sein Motiv. „Wir haben einen Klimawandel, der in vollem Gang ist und die Menschheit bedroht“, sagt er. Konkret habe er vor etwa zehn Jahren registriert, „dass in den Weihnachtsferien in allen Hörsälen die Heizungen an waren.“ Und in allen anderen Semesterferien der kälteren Jahreszeit auch. Der unnötige Gasverbrauch in insgesamt 118 Lehrräumen entspreche jedes Jahr dem von hunderten Einfamilienhäusern, so Ertel. Die Unileitung gab eine Sympathienote ab, habe ihm jedoch bedeutet, die Hausmeisterei liege in Händen der Landesbauverwaltung. Dort sei man grundsätzlich überlastet gewesen. Zusammen mit Studierenden entwickelte der Professor eine Software, die eine Heizungssteuerung per W-Lan anhand der Stundenpläne möglich macht. Er schrieb Ministerien an. Nebenher fuhr er immer an Heiligabend zur Arbeit, um höchstpersönlich die Thermostate herunter zu regeln. Grundlegend geändert aber hat sich nichts, acht Jahre lang. Bis Ertel auf einen Baum kletterte.

Das Urteil fällt noch vor der Mittagspause

Ein schönes Vorbild habe er den Studenten da gegeben, ironisiert der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Er fordert nun, wegen offensichtlicher Uneinsichtigkeit des Angeklagten, 5000 Euro Geldbuße. Ertel hat zwei Verteidiger mitgebracht, beide machen das hier unentgeltlich, wie sie versichern. Sie fordern Freispruch. Das Aufspannen des Transparents ohne Publikum sei keine Versammlung im Rechtssinn gewesen. Sie legen ein aktuelles Schreiben der grünen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vor, worin sie Ertel ausdrücklich für seinen Einsatz zugunsten des Klimaschutzes dankt. Neuerdings sind in Weingarten wie auch an den anderen technischen Hochschulen des Landes Stellen für Klima-Management ausgeschrieben.

Noch vor der Mittagspause fällt der Richter das Urteil. Er bestätigt den ursprünglichen Strafbefehl von 4000 Euro und setzt die Verfahrenskosten oben drauf. „Ich bin enttäuscht“, bekennt der Verurteilte und versucht trotzdem ein Lächeln. Seine Anwälte kündigen an, in Berufung zu gehen.