Wer ein Messer dabei hat, kann es auch einsetzen – mit unabsehbaren schwerwiegenden Folgen. Foto: imago images/Gottfried Czepluch

Im Prozess um eine Messerangriff auf offener Straße in Filderstadt im Sommer 2024 fordert der Staatsanwalt mehr als drei Jahre Haft. Für ihn eine der „unnötigsten und unsinnigsten Gewalttaten“ – vor den Augen eines Zwölfjährigen.

Wenigstens bleibt einem zwölfjährigen Jungen der Auftritt vor Gericht erspart. Vom Balkon aus hatte er im Sommer letzten Jahres miterleben müssen, wie sich in seiner Wohnstraße in Filderstadt-Sielmingen eine blutige Auseinandersetzung abspielte. Ein 41-Jähriger soll dabei von zwei 27 und 28 Jahre alten Brüdern im Streit angegriffen und wenig später mit zwei Messerstichen lebensgefährlich verletzt worden sein. Bis zum Freitag drohte dem Schulkind eine neuerliche psychische Belastung. Dann kam die Entwarnung.

Im Prozess um eine Bluttat am 13. Juli 2024, als ein schwarzer Renault-Kleinwagen in der Wohnstraße vorfuhr, zwei Männer ausstiegen, einen Mann ansprachen und ihn anschließend schlugen, traten und mit Messerstichen verletzten, haben am fünften Verhandlungstag alle Prozessbeteiligten ein Einsehen. Vorsitzender Richter Norbert Winkelmann verkündet, dass es ausreicht, die Aussagen des Buben bei der Polizei am Tatabend zu verlesen. Da hatte der damals Elfjährige unter anderem geschildert, wie zwei Männer einen Mann angriffen, dem Flüchtenden „volle Karacho hinterhergerannt“ seien und wie der Betroffene mit „Blut am Bauch und den Händen“ zurückgekehrt sei.

Die Angeklagten zahlen dem Opfer 9000 Euro

Zeugen hat die 19. Strafkammer ohnehin reichlich gehört. Am Freitag tritt auch der Vater des Zwölfjährigen als Zeuge auf. Er erkennt den älteren der beiden Brüder als denjenigen wieder, den er schon kurz nach der Tat bei der Polizei benannt hatte. Den kannte er von einer Werkstatt in Bernhausen, wo er seine Autoreifen gewechselt habe. Und dessen Bruder soll eine Kfz-Lackierwerkstatt in Sielmingen haben. Die Polizei kam so schnell auf die Spur der Täter, die ihr Opfer lebensgefährlich verletzt zurückgelassen hatten und sich von einem dritten Mann im Auto vom Tatort weg chauffieren ließen.

Während Richter Winkelmann den rechtlichen Hinweis gab, dass hier für beide Angeklagte, und nicht nur für einen der Brüder, die Straftat eines gemeinschaftlichen versuchten Totschlags vorliegen könnte, sieht der Staatsanwalt in seinem Plädoyer lediglich das Strafmaß einer gefährlichen Körperverletzung für gegeben. Der Grund: Anwälte der Verteidigung und Nebenklage einigten sich bei einem Adhäsionsverfahren auf einen Täter-Opfer-Ausgleich von 9000 Euro Schmerzensgeld. Anfänglich hatte die Brüder 5000 Euro offeriert. Dieser Vergleich kann zu einer Absenkung des Strafrahmens führen.

Die Angeklagten sind vorbestraft

Nach der Forderung der Staatsanwaltschaft soll der 28-Jährige für drei Jahre und drei Monate hinter Gitter. Er hatte eingeräumt, mit dem Messer zugestochen zu haben. Zwei Stiche in den Brustkorb und in den Bauch seien „akut lebensbedrohlich“ gewesen, diagnostizierte die gerichtsmedizinische Sachverständige Dr. Melanie Hohner. Vene, Zwerchfell und Milz verletzt, der Dickdarm eröffnet. Die Nacht nach der Tat brachte der 41-Jährige mit Not-OPs im Marienhospital zu. Der 27-Jährige soll das Opfer noch geschlagen und getreten haben – er soll zweieinhalb Jahre hinter Gitter.

Beide Angeklagte stehen zudem unter Bewährung. Der Ältere ist wegen diverser Einbrüche vorbestraft – etwa in eine Tankstelle und eine Moschee in Filderstadt sowie in eine Werkstatt in Stuttgart-Münster. Der Jüngere wegen mehrfachen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Er ist auch der Betreiber jener Autowerkstatt und Lackiererei in Filderstadt, vor der sich womöglich der Anlass dieser Bluttat abgespielt hatte.

„Eine der unsinnigsten Gewalttaten“, sagt der Staatsanwalt

Zwei Wochen vor dem Messerangriff waren sich der 41-Jährige und der 27-Jährige wegen einer mutmaßlichen Vorfahrtsverletzung in die Haare geraten. Der Konflikt unter türkischen Landsleuten eskalierte aber erst zwei Wochen später, als die Brüder den Mann im Wohnquartier zwischen Fleinsbach und Ortskern entdeckten und offenbar zur Rede stellen wollten. Alles endete mit Stichen, die den 41-Jährigen fast das Leben gekostet hätten. „Eine der unnötigsten und unsinnigsten Gewalttaten, mit denen ich je zu tun hatte“, sagt der Staatsanwalt Wolfgang Friedrich.

Die 19. Strafkammer ist bei der Klärung des Tatablaufs nicht nur auf teils widersprüchlichen Aussagen der Zeugen angewiesen. Zwei Überwachungskameras, die einen Hofraum eines Mehrfamilienhauses und den Garten eines Anwohners im Visier haben, zeigen am äußersten Bildrand den Ablauf des Überfalls. Man sieht, wie zwei Männer dem Opfer im blauen Shirt hinterherrennen – und auf den Mann am Boden einschlagen und eintreten. Das Urteil soll am 18. März verkündet werden.