Die Richter müssen sich erneut der Frage stellen: schuldig oder nicht? Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Eine psychisch kranke Mutter tötet ihr Kind, weil sie sich selbst umbringen will. Der Suizid misslingt, und für die Tötung der Tochter muss die Frau vor Gericht. Nun stehen die Richter erneut vor der Frage: Freispruch oder nicht?

Kempten - Weil ihr Freund sich das Leben genommen hat, sah die Frau keine Zukunft mehr. Weder für sich noch für ihre neunjährige Tochter. Letztlich entschied sich die Mutter, sich umzubringen und ihr Kind mit in den Tod zu nehmen.

Im September 2016 erstickte die depressive Frau in Lindau am Bodensee ihr Mädchen nachts mit einem Kissen. Dann versuchte sie, sich mit Tabletten selbst zu töten - der Suizid misslang. Seitdem beschäftigt der Fall die deutsche Justiz. Am Dienstag hat vor dem Landgericht in Kempten eine weitere Runde begonnen, nachdem ein früheres Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) kassiert worden war.

Die mittlerweile 50 Jahre alte Frau muss sich nach wie vor wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Wie die Strafkammer betonte, sei auch eine Verurteilung wegen Mordes denkbar. Doch eine lebenslange Strafe muss die Frau nicht fürchten. Denn dass die Frau aufgrund der psychischen Krankheit in ihrer Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war, steht außer Frage.

Frau versank in Depressionen

Unklar ist, ob sie deswegen nur bedingt schuldfähig oder sogar schuldunfähig war. Vor zwei Jahren hatte das Landgericht Kempten letzteres angenommen und die Frau deswegen freigesprochen. Diesen Freispruch muss nun eine andere Strafkammer überprüfen. Die Staatsanwaltschaft, die damals eine vierjährige Haftstrafe verlangt hatte, hatte erfolgreich Revision eingelegt.

Zu Beginn der neuen Verhandlung berichtete die 50-Jährige unter Tränen über die Tötung ihrer Tochter. Die Frau konnte irgendwann nicht mehr sprechen und antwortete nur noch mit Gesten, mit Nicken oder Kopfschütteln, auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Christian Roch. Auslöser der Tat war, dass sich der Partner der Frau, der Vater des Mädchens, wenige Wochen zuvor umgebracht hat. Die Frau versank in ihrer Depression. „Ich habe mich total alleingelassen gefühlt“, sagte die Angeklagte.

An jenem Abend, als sie die Tötung ihres Kindes plante und umsetzte, schrieb die Mutter noch Abschiedsbriefe und Verfügungen für die gemeinsame Beisetzung mit ihrer Tochter. Nachdem sie die Neunjährige erstickt hatte, nahm die Frau einen Mix von mindestens 70 Tabletten ein.

Neue Gutachten für neues Verfahren

Die Tat wurde erst einen Tag später entdeckt. Polizisten waren zu dem Wohnhaus in Lindau gefahren, nachdem die Grundschule die Beamten informiert hatte, dass das Mädchen nicht zum Unterricht gekommen war. Auch der Arbeitgeber der Mutter hatte die Frau als vermisst gemeldet.

In dem ersten Prozess hatten zwei Sachverständige unterschiedliche Bewertungen zur Schuldfähigkeit vorgetragen. Der BGH bemängelte, dass die Strafkammer unzureichend dargelegt habe, warum sie dem einen Gutachter gefolgt ist und dem anderen nicht.

Für das neue Verfahren wurden nun auch neue Gutachten erstellt. Doch die beiden Gutachter blieben bei ihrer früheren Einschätzung. Einer sah die Steuerungsfähigkeit der Frau bei der Tat als vollständig aufgehoben an, der andere sah nur eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit durch die Depression. Die Plädoyers und das Urteil in dem Prozess werden am Mittwoch kommender Woche erwartet.