Eine Frau wird am Rande einer Anti-Kriegs-Demonstration in Moskau festgenommen. Foto: dpa/Dmitry Serebryakov

Auch in Russland regt sich Widerstand gegen den Überfall auf die Ukraine – doch die Protestierenden brauchen viel Mut. Der Staat greift hart durch.

Moskau - Alexej immer noch „gelähmt“. Eigentlich sei gerade „alles sinnlos“. „Warum noch arbeiten, wenn ohnehin nicht klar ist, was der Morgen bringt?“ Seine Methode, seiner Hilflosigkeit, Wut, Scham und seinem Kummer zu entkommen: demonstrieren. Raus auf die Straße gehen, ohne Plakat, ohne Worte. „Einfach inmitten von etwa 700 Menschen zu stehen, um dem Schock des Morgens zu entkommen“, wie er sagt.

„Friede für die Welt“, rufen die Menschen quer durch Russland. „Nein zum Krieg“. Tausende sind das. Vermeintlich wenig. In einem Land aber, in dem es – offiziell aus Pandemiegründen – verboten ist, selbst Einzelmahnwachen abzuhalten, in dem das Auftauchen bei „nicht genehmigten“ Kundgebungen Strafverfahren nach sich ziehen kann, ist das ein mutiges Aufbäumen.

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Das Regime macht Kritiker mundtot, viele aus der liberalen Opposition sind ins Ausland geflohen, um Gefängnisstrafen nach konstruierten Verfahren zu entgehen. Selbst ein kritischer Kommentar in einem sozialen Netzwerk führt so manchen hinter die Mauern einer Strafkolonie. Auch dieses Mal lässt der Staat die Demonstranten nicht lange gewähren. Die hochgerüstete Spezialpolizei Omon jagt die Menschen auseinander, sei es in Moskau, Sankt Petersburg oder Nowosibirsk. Knapp 2000 von ihnen nimmt sie quer durchs Land fest, meldet die unabhängige Bürgerrechtsorganisation OWD-Info.

„Ich stand nur 15 Minuten auf dem Moskauer Puschkinplatz, wurde unwirsch von einem Omon-Mann angegangen, das machte mir Angst“, erzählt der 53-jährige Alexej am Tag danach. Er habe extra seine Maske tiefer ins Gesicht gezogen. „Ich will ja keine Schwierigkeiten für mein Geschäft, es wird demnächst ohnehin schwierig werden, die wirtschaftliche Lage wird kein Zuckerschlecken“, sagt er. Bei der Verfolgung von Demonstranten regierungskritischer Versammlungen setzt Russland vermehrt auf Gesichtserkennungssoftware, um diese später an den Pranger zu stellen.

Russische Ermittlungsbehörden fordern bereits jetzt Gerichtsverfahren gegen einige Teilnehmer der Antikriegsproteste. Manche Behördenvertreter sprechen von Verrätern. Die Vorsitzende des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, zog die Kritik der Menschen am russischen Militäreinsatz ins Lächerliche. „Manche Leute denken halt an ihre jetzigen Sorgen. Nicht an die Sicherheit eines so großen Landes zu denken, das auf der Weltbühne so wichtig ist, nicht daran zu denken, dass eines schönen Tages jemand von der Souveränität unseres Landes abbeißen könnte, von den Öl- und Gasfeldern, das ist nicht zulässig“, sagte sie. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow meinte, die Menschen hätten kein Recht zu demonstrieren.

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„Von einer neuen Runde der Konfrontation mit dem Westen wird oft eine Destabilisierung in Russland erwartet. Das Gegenteil ist der Fall“, schrieb die russische Politologin Tatjana Stanowaja, da waren russische Flugzeuge noch nicht über Kiew geflogen. Die Kontrolle im Inneren werde sich noch weiter verstärken, so Stanowaja, die Dominanz der konservativen, antiliberalen und antiwestlichen Elite weiter zunehmen. Die sogenannten Silowiki – Sicherheits- und Geheimdienstkräfte – nähmen weiter an Einfluss zu, selbst Diplomaten seien gezwungen, auf die Machtrhetorik des Kremls umzusteigen. Das zeigt sich auch in einem Auftritt des russischen Außenministers Sergej Lawrow am Freitag. Er zieht hanebüchene Vergleiche mit anderen Ländern, beharrt darauf, die Zivilbevölkerung in der Ukraine leide nicht, wirft Journalisten vor, sich nicht auf Fakten zu beziehen. „Und alle Fakten sind in der Rede von Wladimir Putin niedergelegt.“

Die wirtschaftliche Elite, die Putin am Abend nach dem Angriff zu sich geladen hatte, muckt nicht auf. Er bittet um Solidarität, sagt, die „Maßnahme“ in der Ukraine sei „erforderlich“ gewesen. „Ich zähle auf Sie“, sagt Putin. Einer bittet, die Gegensanktionen nicht weitreichend ausfallen zu lassen, man wolle schließlich ein Teil der Weltwirtschaft bleiben.

„Der Staat wird die Logik des Ausnahmezustandes festigen“, schreibt Stanowaja. Der Raum für Kompromisse und Verhandlungen ist nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine noch kleiner geworden.