In Frankreich wurde gegen ein neues Sicherheitsgesetz demonstriert. Die Proteste endeten am Abend in Randale. Foto: dpa/Francois Mori

Mehr als Hunderttausend Menschen haben in Frankreich an den landesweiten Demonstrationen gegen Polizeigewalt und für die Pressefreiheit teilgenommen. In Paris kommt es am Ende zu Randale.

Paris - Selbst die Organisatoren sind überrascht. Zehntausende Menschen drängeln sich am Samstag im Zentrum von Paris auf der Place de la République. Plakate werden in den strahlend blauen Himmel gereckt. „Wer schützt uns vor der Brutalität der Polizei?“ ist zu lesen. Oder: „Ihr legt die Waffen nieder, wir unsere Kameras!“ Als sich der „Marsch der Freiheiten“ in Richtung Bastille in Bewegung setzt, seien es 200 000 Menschen verkünden die Organisatoren, ein Bündnis von Journalistengewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen, ziemlich stolz auf Twitter. Das französische Innenministerium spricht von knapp 50 000 Teilnehmern. Auch in anderen Städten Frankreichs wie Straßburg, Bordeaux, Lyon, Marseille, Lille, Nantes und Montpellier kommt es zu großen Kundgebungen.

Ende der Polizeigewalt gefordert

In Paris fordern die Demonstranten in Sprechchören immer wieder ein Ende der Polizeigewalt und den Schutz der Pressefreiheit. Auf vielen Transparenten ist das Foto eines Mannes zu sehen: blutverschmiertes Gesicht, dick geschwollene Augen, aufgeplatzte Lippen. Es ist Michel Zecler, der vor einigen Tagen in Paris von drei Polizisten brutal zusammengeschlagen wurde. Auf dem Video einer Überwachungskamera ist zu erkennen, wie die Beamten im Eingang seines Studios mehrere Minuten auf den schwarzen Musikproduzenten einprügeln. Erst als die Polizisten bemerken, dass die Szene gefilmt wird, lassen sie von ihrem Opfer ab.

Dieser Gewaltexzess ist allerdings nur die eine Seite, denn es geht vor allem auch um die Videoaufnahme, die von der Internet-Plattform „Loopsider“ ins Netz gestellt wurde. Denn die französische Regierung plant ein neues Sicherheitsgesetz, das die Veröffentlichung solcher Aufnahmen verhindern könnte. Die offizielle Lesart des Innenministers Gérald Darmanin ist, dass die Polizisten bei ihren Einsätzen besser geschützt werden sollen. Journalistenverbände befürchten allerdings, dass auf diese Weise gezielt die Pressefreiheit eingeschränkt werden soll. Menschenrechtsgruppen glauben sogar, dass die Sicherheitskräfte mit dem neuen Gesetz bei ihren Einsätzen eine Art Freibrief bekommen könnten, denn in den vergangenen Monaten ist es in Frankreich immer wieder zu Polizeigewalt gekommen – aufgedeckt wurde diese aber nur, weil es davon Videoaufnahmen gab.

Der Innenminister ist „schockiert“

Natürlich zeigten sich auch Innenminister Darmanin und Präsident Emmanuel Macron angesichts der dokumentierten Prügelattacke auf den Musikproduzenten Michel Zecler „schockiert“ – beide sind allerdings die treibenden Kräfte hinter dem umstrittenen Sicherheitsgesetz, gegen das die Menschen in Paris auf die Straße gingen. „Man macht Gesetze, die den Staat schützen und nicht die Bürger“, sagte eine Teilnehmerin auf der Demonstration, in den Händen hielt sie ein Plakat mit dem Porträt von Macron als Vampir.

Hatte der Demonstrationszug anfangs fast noch ausgelassenen Volksfestcharakter, schlug die Stimmung am Abend allerdings um, als die Place de la Bastille erreicht wurde. Im Schutz der Dämmerung formierten sich in einigen Seitenstraßen kleine Gruppen von Randalierern, im Gegenzug machten die zusammengezogenen Sicherheitskräfte mobil. Was dann folgte, war eine inzwischen hinlänglich bekannte Eskalation der Gewalt. Zuerst flogen Steine, Schaufenster gingen zu Bruch, Autos wurden angezündet, irgendwann brannte ein Zeitungskiosk und aus dem Eingang eines Gebäudes der französischen Zentralbank schlugen Flammen.

Verwackelte Videos machen die Runde

In den sozialen Netzwerken machten verwackelte Videos die Runde, auf denen Polizisten Tränengasgranaten verschossen und auf Demonstranten einprügelten. Doch wäre diese Darstellung nur die halbe Wahrheit. Auf anderen Filmen ist zu sehen, wie Vermummte brutal mit Dachlatten auf Polizisten einprügeln, auf einem kurzen Video liegt ein hilfloser Beamter am Boden, während mehrere Randaliere mit ihren schweren Stiefeln auf in eintreten. Das Innenministerium teilte in der Nacht mit, dass allein bei den Protesten in Paris 23 Beamte zum Teil schwer verletzt wurden.

In den sozialen Medien wurden nach der Schlacht die inzwischen üblichen Beschuldigungen ausgetauscht. Innenminister Gérald Darmanin verurteilte via Twitter die Angriffe auf die Sicherheitskräfte und nannte diese „inakzeptabel“. Zur gleichen Zeit kritisierte Reporter ohne Grenzen den Einsatz der Polizei und nannte die Gewalt ebenfalls „inakzeptabel“. Zumindest in der Bewertung der Gegenseite herrscht also Einigkeit.