Die vielen Ackerflächen auf der Gemarkung Münchingen verschwinden vielleicht zugunsten des regionalen Gewerbeschwerpunkts. Foto: Werner/ Kuhnle

Die Gegner des regionalen Gewerbeschwerpunkts in Korntal-Münchingen protestieren an diesem Samstag gegen das Vorhaben. Was ihnen am meisten missfällt, was der Bürgermeister dazu sagt – und warum für ihn die jüngste Ausschusssitzung ein Reinfall war.

Dieser Tage ist der regionale Gewerbeschwerpunkt nördlich von Müllerheim vielerorts in der Stadt das Gesprächsthema. An diesem Samstag ist eine Protestaktion, eine Woche später der Infomarkt. Und dann war da noch die Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt.

Was hat es mit der Kundgebung auf sich? Im Regionalplan ist auf der Gemarkung Münchingen nördlich von Müllerheim ein regionaler Gewerbeschwerpunkt, kurz RGS, ausgewiesen. Auf insgesamt rund 18 Hektar Fläche soll nun nach den Vorstellungen der Verantwortlichen ein maximal nachhaltiger und ökologischer Gewerbepark entstehen. Ein Leuchtturmprojekt. Oder wie der mit den Grundstücksverhandlungen und dem Konzept beauftragte Freiburger Architekt Wolfgang Frey es nennt: ein weltweit einzigartiger Ökopark.

Doch leicht hat es das Projekt nicht, es gibt zahlreiche Kritiker. Zum Beispiel die Naturschutzverbände BUND und Nabu sowie der Bauernverband Korntal und Münchingen, die an diesem Samstag eine Kundgebung organisieren. Sie – wie auch die Grünen im Gemeinderat – monieren vor allen Dingen den Flächenverbrauch. Die Münchinger Böden würden mit mehr als 80 Bodenpunkten zu den fruchtbarsten Böden in ganz Deutschland gehören, informieren die Organisatoren der Demo. „Mit dem Bau eines mehr als 15 Hektar großen Gewerbeschwerpunkts würden wir weitere, kostbare Flächen für die regionale Produktion von Nahrungsmitteln für immer verlieren.“ Daher die Kundgebung.

Um auf die Größe hinzuweisen, werde man mit Fackeln und etwa 15 Traktoren sowie den Teilnehmenden die Außenlinie des geplanten Gebiets umstellen und mit Drohnen von oben aufnehmen. Angemeldet seien 100 Teilnehmende, darunter als Redner die Landtagsabgeordneten Konrad Epple (CDU) und Markus Rösler (Grüne). Freilich hoffen die Organisatoren auf mehr als 100 Beteiligte. Treffpunkt am Samstag ist um 15.45 Uhr auf dem Reitplatz Müllerheim in der Schwieberdinger Straße 59.

Was sagt der Bürgermeister zur Demo? Joachim Wolf (parteilos) hält die Kritik der Verbände am RGS für „durchaus berechtigt“, und für die Aktion am Samstag habe er „absolutes Verständnis“. Er habe sich „vielleicht lediglich gewünscht, dass sie mit derartigen Initiativen bis nach dem Infomarkt gewartet hätten“. Denn dort biete sich eine „sehr gute erste Gelegenheit zur Präsentation und Diskussion der zum Teil konträren Perspektiven auf das Projekt“. Auf dieser Grundlage, so Wolf, hätten dann gut weitere Aktionen aufbauen können. „Aber die Entscheidung für das Timing findet auch so meine uneingeschränkte Akzeptanz und Wertschätzung.“

Wozu der Infomarkt? Die Korntal-Münchinger Stadtverwaltung verspricht eine umfassende Bürgerbeteiligung. Die Bevölkerung solle an der Planung für den RGS mitwirken. Nach einer Vortragsreihe mit Fachleuten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen rund um Nachhaltigkeit im Herbst 2021 ist am 4. Februar von 14 bis 18 Uhr in der Buddenberg-Halle im Stadtteil Münchingen der Infomarkt. Laut der Stadtverwaltung können die Besucher an mehreren Themeninseln vorbeischauen – wie auf einem Wochenmarkt – und mit den Beteiligten sprechen. Fragen werden beantwortet, Anregungen und Kritik aufgenommen. Dabei sind neben den Ortsverbänden von Nabu und BUND sowie dem Bauernverband Vertreter der Stadt und des Verbands Region Stuttgart (VRS), des Architekturbüros Frey, das seine Pläne vorstellt, und des Sportwagenbauers Porsche. Er interessiert sich als Projektpartner für eine Beteiligung.

Woran scheiterte die Verwaltung zuletzt? Der Gewerbepark teilt sich in zwei Bereiche. Für eine etwa 15 Hektar große Fläche hat der Architekt Frey ein Konzept entwickelt, das es ermöglicht, die Fläche besonders nachhaltig weil mehrfach zu nutzen: Unterirdisch ist die Produktion, darüber, also oberirdisch, sind Kleingewerbe, Wohnungen, eine Kita. Es wird sozusagen gestapelt. Zusätzliche circa drei Hektar Fläche im südwestlichen Teil des RGS-Gebiets will die Stadt selbst entwickeln und so deutlich mehr steuern können. Die Stadtverwaltung will etwa ortsansässigen Betrieben ermöglichen zu expandieren.

In der Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt am Donnerstag wollte sie sich grünes Licht holen, um Angebote von Planungsbüros zur Erstellung eines städtebaulichen Konzepts einzuholen. Als „nur eine erste Diskussionsgrundlage“, um sich klar zu werden, wie es auf den drei Hektar mal aussehen soll. Auch soll das Konzept als Basis für die Erschließung des gesamten Gebiets dienen, also zum Beispiel dem Verkehrsplaner dabei helfen, die Straßen entsprechend zu führen.

Die Ausschussmitglieder ließen die Stadtverwaltung abblitzen: Der Antrag der Freien Wähler, die Entscheidung zu vertagen, ging durch. Es seien grundsätzlich noch zu viele Aspekte ungeklärt, lautete die Begründung. Offen ist unter anderem, wie der Gewerbepark verkehrlich angebunden wird, wer konkret ihn nutzt, wie viel Mitspracherecht die Stadt erhält, wie viel Wohnraum entsteht und welche Infrastruktur dann nötig wird. Die Stadtverwaltung und der Gemeinderat hatten strenge Leitlinien zur Nachhaltigkeit erarbeitet, die umgesetzt werden müssen.

Welche Bedeutung hat der Ökopark abgesehen von seiner Einmaligkeit? In der Region Stuttgart sind laut dem VRS größere Gewerbeflächen ab circa drei Hektar rar, jenseits einer Flächengröße von zehn Hektar sei das Angebot gar „extrem überschaubar“. Doch die im Rahmen des Strukturwandels gewünschte Ansiedlung von Zukunftstechnologien benötige größere Flächen. Auch Korntal-Münchingen meldet Bedarf an: Der Gewerbeflächenpotenzialanalyse zufolge ergibt sich in der Stadt bis zum Jahr 2035 ein Gewerbeflächenbedarf von bis zu 30 Hektar. Und: Die Stadt hofft auf mehr Gewerbesteuer, die sie unbedingt braucht. Die Kritiker entgegnen, es bestehe eine große Unsicherheit, ab wann und in welcher Höhe die Gewerbesteuer tatsächlich fließe.