Auf dem freien Feld bei Müllerheim erreicht der Protest seinen Höhepunkt. Wird hier ein neues Gewerbegebiet entstehen? Foto: Simon Granville

Auf Einladung von Naturschützern und Landwirten haben um die 130 Demonstranten gegen einen großen Gewerbepark bei Korntal-Münchingen protestiert.

„Schau mal, ganz da hinten ist noch einer.“ Ungläubig wandern die Blicke einer Demonstrantin über die weiten Äcker von Korntal-Münchingen. In der Ferne stehen mehr als 20 hell beleuchtete Traktoren. Sie markieren die Grenzen einer mehr als 15 Hektar großen Ackerfläche bei Müllerheim. „Ursprünglich hätten es sogar 25 Hektar sein sollen“, sagt der Mann neben ihr kopfschüttelnd. Auf ihren Schildern stehen Forderungen wie „Landerhalt statt Asphalt“, „Lerche will leben“ und „Schützt unseren Boden, schützt unsere Ähren“. Aber auch: „Nein zum RGS“.

RGS – das steht für Regionaler Gewerbeschwerpunkt. Ein solcher könnte nördlich von Müllerheim, Ortsteil von Korntal-Münchingen, entstehen. Zumindest steht es so im Regionalplan der Region Stuttgart. Der Gemeinderat Korntal-Münchingen hat über das Projekt allerdings noch nicht entschieden. Rund 18 Hektar soll der Gewerbepark umfassen. Maximal nachhaltig und ökologisch soll er sein – doch die Ackerflächen, die dafür zugebaut werden müssten, wären dauerhaft verloren. Aus diesem Grund hat sich seit dem Aufkommen der Idee ein weitreichender Protest dagegen formiert.

Naturschützer und Landwirte protestieren

Unter anderem die Naturschutzverbände BUND und Nabu sowie der Bauernverband Korntal und Münchingen setzen sich gegen das Vorhaben ein. Auf ihre Einladung hin haben sich am Samstag um die 130 Teilnehmer bei eisigen Temperaturen beim Reitplatz von Müllerheim eingefunden, um gemeinsam gegen den Gewerbepark zu protestieren.

„Wir gehören zur ,Kornkammer‘ Baden-Württembergs“, erklärt Markus Hönes, Landwirt aus Korntal-Münchingen, den zahlreichen Protestteilnehmern. „Die Münchinger Böden gehören mit über 80 Bodenpunkten zu den fruchtbarsten Böden in ganz Deutschland.“ Auf 15 Hektar Ackerland könne man jährlich 120 Tonnen Getreide anbauen. „Damit können wir 5000 Bürger mit Brot versorgen.“ Seit 1979 habe sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Korntal-Münchingen um mehr als 25 Prozent verringert. „Die Anzahl der Landwirte ist sogar um über 60 Prozent zurückgegangen.“

Die große Bedeutung kurzer Wege

Weiteren Boden zu versiegeln und ihn für die regionale Produktion von Nahrungsmitteln zu verlieren, sei nicht mehr zeitgemäß. „Die lokale Landwirtschaft ist von großer Bedeutung für unsere Ernährungssicherheit“, betont Hönes. Die aktuellen Krisen von Corona bis hin zum Krieg in der Ukraine sowie die empfindlichen Lieferketten hätten umso deutlicher gezeigt, wie wichtig die kurzen Wege für die Versorgung sind.

Johannes Völlm, Nabu-Vorstand aus Münchingen, hebt vor allem die fatalen Auswirkungen auf die Artenvielfalt hervor und betont: „Ein ,nachhaltiges‘ Gewerbegebiet gibt es nicht.“ Denn es gebe keinen Weg, die Verluste auszugleichen, die durch die Flächenversiegelung entstehen. Zahlreiche Tiere verlören ihren Lebensraum. Betroffen sind unter anderem Hasen und Feldlerchen, aber ebenso Feldmäuse, die wiederum Nahrungsgrundlage für heimische Raubvögel sind, und das Rebhuhn. „Das Rebhuhn steht auf der Roten Liste und ist in höchstem Maße bedroht“, mahnt er. „Das heißt, es wird hier aussterben, wenn wir nichts dagegen tun.“

Flächenverbrauch soll gegen null gehen

Das Land Baden-Württemberg habe die Bedeutung regionaler Ackerflächen erkannt und angekündigt, bis zum Jahr 2035 den Flächenverbrauch auf null Hektar zu reduzieren. Jedoch: Im Augenblick liege der Verbrauch bei 6,2 Hektar – pro Tag. „Der Trend geht sogar nach oben“, beklagt er.

Zwei weitere Punkte, die die Diskussionen anheizen, sind die Gewerbesteuer und der zusätzliche Verkehr. Ein Hauptargument für einen Gewerbepark bezieht sich auf die erhofften Gewerbesteuereinnahmen. Die Gegner des Projekts überzeugt das nicht. „Beispiele aus Hemmingen und Weissach zeigen, dass die Gewerbesteuereinnahmen keineswegs in die örtlichen Kassen fließen müssen“, merkt Günter Zerweck vom Nabu Korntal-Münchingen an.

Nicht nur über das „Wie“ sprechen, sondern auch über das „Ob“

Der eingeladene Landtagsabgeordnete Markus Rösler (Grüne) betont zwar, sich vor einer Positionierung erst beide Seiten anhören zu wollen. Sein Redebeitrag spricht jedoch eine andere Sprache: „Es müssen schon sehr gute Argumente sein, um einen RGS zu befürworten.“ In einem Fall wie hier, in dem das Gewerbegebiet nicht einmal an die Schiene angeschlossen sei und ohnehin immer mehr Flächen in der Umgebung versiegelt werden sollen, „da müssen die Argumente noch viel besser sein“. Der zusätzliche Verkehr ziehe mit Sicherheit weitere Straßenbauten nach sich, beispielsweise einen Ausbau der B 10. „Da sprechen wir dann von einem Flächenverbrauch von 60 Hektar“, warnte er. „Es wird Zeit, dass, wenn so ein Projekt von der Gemeinde geplant wird, sie nicht nur das ,Wie‘ klärt, sondern erst mal das ,Ob‘ und das ,Warum‘.“

Sein Landtagskollege Konrad Epple von der CDU zeigt sich da schon deutlich zurückhaltender und will die Infoveranstaltung am 4. Februar abwarten. Der Infomarkt der Stadtverwaltung findet von 14 bis 18 Uhr in der Buddenberg-Halle im Stadtteil Münchingen statt. Alle Korntal-Münchinger können sich an diesem Tag über das Projekt schlaumachen und sich sogar aktiv einbringen. Auch die Bauern- und Naturschutzverbände werden vertreten sein. Kontakt per E-Mail: info@kostbarer-strohgaeuboden.de.