Städte und Gemeinden im Kreis Ludwigsburg wetteifern darum, in welcher Verwaltung die Mitarbeiter die meisten Kilometer zu Fuß machen. Bei der Challenge zeichnet das Smartphone alles auf. Unser Autor Andreas Hennings findet das prima. Seine Kollegin Susanne Mathes ist da ganz anderer Meinung.
Andreas Hennings findet, dass die Art der Schritte-Challenge der richtige Weg ist – in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen immer weniger bewegen. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Gut, dass die Technik daran rütteln kann.
Ein dringend benötigter Anreiz
Die Zahlen sprechen für sich. Leider. Mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland ist übergewichtig, jeder fünfte gilt als fettleibig. Weltweit verdreifachte sich in den vergangenen 50 Jahren der Anteil an fettleibigen Personen. Ein „einfach weiter so“ würde bedeuteten, dass diese Zahlen steigen und steigen. Mit all den Folgen für den Menschen selbst und fürs Gesundheitssystem.
Damit sich etwas ändert, braucht es Anreize. Das zeigt die Erfahrung, faul wie wir nun mal oft sind. Und wenn die Technik hier unterstützt, ist das eine gute Sache. Sie kann animieren und motivieren. Und vor allem auch diejenigen erreichen, die keinen Sport treiben und sonst an ihren Gewohnheiten nichts verändern würden. Wenn dann auch noch der Arbeitgeber, bei dem wir einen Großteil unserer Zeit verbringen, auf diesen Zug aufspringt und zu mehr Bewegung anregt, signalisiert das umso mehr: Es ist gut und wichtig, dass du dich bewegst. Tu es!
Es muss ja nicht immer gleich um Wettbewerb gehen. Das zeigen Beispiele aus Seniorenheimen, in denen sich Bewohner mithilfe von Apps und Spielen auf dem Tablet körperlich wie geistig fit halten. Aber ein Wettbewerb kann eben auch sehr viel Spaß mit sich bringen und zusätzlich animieren. Viele springen auf so etwas an. Warum sonst gibt es allein bei Kicktipp eine sechsstellige Zahl an Fußball-Tipprunden mit Millionen von Teilnehmern?
Ein Paradebeispiel als Vorbild für die Bewegungsapp ist das Stadtradeln. Gruppen, Gemeinden und Städte, Landkreise und Bundesländer konkurrieren darum, wer die meisten Kilometer radelt. Bei den Teilnehmern wird mit einer App gemessen, in der Anonymität großgeschrieben ist. Vor allem: Die Aktion läuft nur wenige Wochen im Jahr. Hauptziel ist es also, die Menschen überhaupt aufs Rad zu bringen. Damit sie merken: Das macht Spaß und man fühlt sich fitter. Diese Erfahrung animiert dann im besten Fall dazu, auch sonst zu radeln. Genau diesen Anreiz braucht es auch fürs Gehen im Alltag. Es mag traurig sein, dass für den Impuls eine App herhalten muss. Die Zahlen zeigen aber, dass es so wie bisher nicht funktioniert.
Unsere Autorin Susanne Mathes kontert. Sie ist der Auffassung, dass hier mal wieder viel Lärm um wenig Nachhaltigkeit gemacht wird: Für Bewegung braucht es inneren Antrieb.
Eine Challenge – mal wieder unnötig
Das ganze Leben ist umstellt von Challenges – wollte man ihnen und dem Getöse, das um sie gemacht wird, entkommen, käme man auf ziemlich viele Schritte. Die einen saufen sich nach Tik-Tok-Challenges krankenhausreif oder zerlegen Kinosäle. Andere wetteifern darum, wie weit sie in 30 Tagen beim Seele-Entrümpeln oder Kochen ohne Fertigprodukte kommen. Und die Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundlicher Kommunen ruft zur Schritte-Challenge, damit die Mitarbeiter die „Vorteile des Zufußgehens“ entdecken. Freundlicherweise werden sie dabei von „Denkanstößen in der Schrittzähler-App begleitet“.
Kann man machen. Mögen manche auch fürs Zwischenmenschliche am Arbeitsplatz nett finden. Doch was das hehre Ziel angeht, sind solche Challenges Nebelkerzenwerferei. Wer braucht sie, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es besser ist, die Treppe statt den Aufzug zu nehmen und das Rad statt des Autos? Und zwar nicht fürs Zählkonto, sondern aus einer mündigen Verantwortlichkeit für die eigene Lebensführung heraus? Es ist verwegen zu glauben, dass die Challenge – die, das liegt in ihrem Wesen, nur eine überschaubare Zeit dauert – aus Couch-Potatoes geläuterte Aktiv-Geher macht. Wer danach viel geht, hat vermutlich vorher schon auf ausreichend Bewegung geachtet. By the way: Sollte man bei der Arbeit nicht an die Arbeit denken, statt daran, wo man zusätzliche Schritte herausschlagen kann? Was ist denn mit Kolleginnen und Kollegen, die schlecht zu Fuß sind?
Zudem: Mit wie vielen Apps will man sich eigentlich noch freiwillig auf Selbstoptimierung trimmen lassen? Mit miesem Gefühl auf den Zähler starren, wenn man heute schlechter performt hat als gestern? Wie viele persönliche Daten wollen wir noch von uns preisgeben? Wer nutzt sie, und wem nützen sie womöglich einmal? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Sich zumindest partiell aus der oft selbst verschuldeten digitalen Unmündigkeit zu befreien, ohne App zu denken und Gehen oder Radeln aus innerem statt aus äußerem Anreiz gut zu finden: Das wäre doch auch mal eine Challenge.