Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Besuch im Erdbebengebiet Foto: AFP/ADEM ALTAN

Sechs Parteien, die eigentlich den amtierenden Präsidenten ablösen wollen, können sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl am 14. Mai einigen.

Die Chancen für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf eine Wiederwahl im Mai sind am Freitag beträchtlich gestiegen: Ein Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, das Erdogan bei der Parlaments- und Präsidentenwahl am 14. Mai besiegen wollte, zerbrach zehn Wochen vor der Wahl an einem Streit um die Auswahl eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten. Obwohl die Regierung aus der Sicht vieler Türken nach dem Erdbeben vom Februar kein gutes Bild abgab, könnte der 69-jährige Erdogan im Mai wie schon bei früheren Wahlen von der Zersplitterung der Opposition profitieren.

Meral Aksener, die Vorsitzende der oppositionellen Nationalisten-Partei IYI, der zweitgrößten Kraft in der Sechser-Allianz, sagte, leider hätten „persönliche Ambitionen“ das Bündnis zerstört. Der Sechser-Tisch, wie das Bündnis der Erdogan-Gegner genannt wurde, sei keine gemeinsame Plattform mehr. Akseners Partei hat einen Wähleranteil von etwa 15 Prozent. Stärkste Kraft im Bündnis war die linksnationale CHP unter Kemal Kilicdaroglu mit etwa 25 Prozent. Aksener warf Kilicdaroglu vor, unbedingt selbst Präsident werden zu wollen, obwohl andere Bewerber laut Umfragen bessere Chancen hätten, Erdogan zu schlagen. Aksener favorisierte den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu und den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas. Am Freitag rief sie beide Politiker zur Kandidatur auf. Es sei ihre „Pflicht“, gegen Erdogan anzutreten, sagte die 66-jährige.

Der populärste Erdogan-Gegner darf nicht antreten

Allerdings gehören Imamoglu und Yavas zu Kilicdaroglus CHP – und der Parteichef hat ihnen eine Präsidentschaftskandidatur verboten, weil er selbst antreten will. Der charismatische Imamoglu war außerdem von der regierungstreuen Justiz im Dezember mit einem Politikverbot belegt worden; wenn das Urteil vor der Wahl im Mai bestätigt wird, dürfte er nicht kandidieren, selbst wenn er sich über seinen Parteichef Kilicdaroglu hinwegsetzen sollte.

Das Sechser-Bündnis hatte sich die Abschaffung von Erdogans Präsidialsystem und eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie auf die Fahnen geschrieben. In der Allianz gab es aber nicht nur Streit um die Kandidatenfrage, sondern auch um die Verteilung von Regierungsposten nach einem Sieg über den seit 20 Jahren regierenden Erdogan und dessen Partei AKP. Die Chefs von kleineren Parteien in der Allianz beanspruchten nach Medienberichten hohe Posten in einer künftigen Regierung. Aksener habe dies nicht hinnehmen wollen.

„Selbstmord“ der Opposition

„Die Opposition in der Türkei hat gerade Selbstmord begangen“, kommentierte Karabekir Akkoyunlu, Nahost-Experte an der Universität London. Es sei eine Tragödie, wenn Erdogan „trotz der Monstrosität seines Regimes“ dank „eines Haufens unfähiger, egoistischer und völlig unverantwortlicher Politiker“ einen weiteren Sieg feiern könne.