Ruth Waiblinger zieht sich zurück und freut sich über viele Gesten des Dankes.Foto: Eva Schäfer Foto:  

Die Postfiliale im Fellbacher Oberdorf macht zu. Auch mit 75 Jahren fällt es Ruth Waiblinger nicht leicht, aufzuhören. Das hat viele Gründe, wie ein Besuch zeigt.

Die Kunden stehen Schlange. Auch am vorletzten Tag ist ein Kommen und Gehen. „Ja, da würde ich ein Einschreiben empfehlen“, sagt Ruth Waiblinger. Der Kunde nickt zufrieden. Dann kommen einige andere, Leute aller Altersgruppen, mit Paketen, die sie aufgeben möchten. „Hier kann ich einfach schnell zu Fuß herkommen“, sagt ein Mann. Die Postfiliale in der Hinteren Straße im Fellbacher Oberdorf sei für ihn prima gelegen.

Ruth Waiblinger bedient mit in langen Jahren erworbener Kompetenz, sie berät und kassiert. Doch an diesem Mittwoch ist alles etwas anders. Das ist auch am Ambiente erkennbar: Ein einsamer Ständer mit Grußkarten steht im Raum, leere Regale sind zu sehen und Kisten, in denen Geschenkpapier abverkauft wird. Seit einiger Zeit ist die Postfiliale nur noch vormittags geöffnet. Es ist ein Abschied in Raten.

Jetzt, am Freitag ist Inventur. Der Donnerstag war der letzte Tag, an dem Ruth waiblinger ihre Kunden bediente. „Ich hätte gerne weitergemacht“, sagt sie. Auch mit 75 Jahren. Doch gesundheitlich gehe es leider nicht mehr. Man nimmt es ihr ab, dass sie ungern aufhört. Und es ist zu beobachten: Nicht nur ihr, sondern auch vielen Kunden fällt der Abschied schwer. Auf einem der Regale steht ein frisch gebackener Zitronenkuchen, daneben ist ein Obstkorb mit Kürbissen und eine Paprikapflanze mit leuchtend-roten Früchten. „Das haben mir meine Kunden mitgebracht“, sagt Ruth Waiblinger, „und auch wunderschöne Blumensträuße.“ An der Wand hängt eine Kinderzeichnung, Blumen sind drauf, rote Herzchen und als kurzer Text „für Ruth“. „Das hat ein Vater vorbeigebracht. Sein Sohn hat das gemalt“, erzählt die Adressatin und strahlt.

Zitronenkuchen, Kürbisse und Blumensträuße zum Abschied

Hier in der kleinen Agentur scheint sich etwas erhalten zu haben, was oft in der hektischen, zunehmend anonymen Einkaufs- und Dienstleistungswelt verloren gegangen ist. Der persönliche Kontakt, Aufmerksamkeit, das Interesse für das Gegenüber. Ruth Waiblinger drückt es so aus: „Man lebt mit den Kunden oder man lässt es bleiben. Ich habe das mit Herzblut gemacht.“

Seit ihrem 14. Lebensjahr war sie im Verkauf tätig. Der Umgang mit Kunden gehörte zu ihrem Leben. Zwölf Jahre lang hat sie die Postfiliale in der Hinteren Straße 43 geführt. Die ebenerdigen Räume wurden früher auch als Laden für Milchprodukte und andere Lebensmittel genutzt. Das sei ein großer Pluspunkt, wegen des barrierefreien Eingangs und der Parkplätze direkt vor der Tür. Der Vermieter sei zudem ein toller, menschlicher Vermieter, fügt Ruth Waiblinger hinzu. Bei der Eröffnung habe auch der damalige Oberbürgermeister Christoph Palm vorbeigeschaut und gratuliert. Auch dessen Mutter Ute Palm, zählt zu ihrer Kundschaft. Viele sind froh, dass sie eine Postfiliale im alten Ortskern haben. Wie es aussieht, soll es aber an dem Standort weitergehen.

Bei der Eröffnung damals hatte der OB Palm auch vorbeigeschaut

In der Cannstatter Straße 47 soll derweil am 5. Oktober eine neue Postfiliale öffnen, nachdem die Postbank-Filiale in der Stuttgarter Straße zum Bedauern vieler Fellbacher zum 6. Oktober geschlossen wird.

„Darf ich noch reinkommen?“, fragt eine junge Frau höflich kurz vor 13 Uhr. „Klar, wir sind ja da““, bekommt sie zur Antwort. Sie habe sehr sehr viele nette Kunden, nur wenige seien anstrengend gewesen, sagt Ruth Waiblinger. „Gute Zeit“, heißt es immer wieder. „Wir sehen uns dann auf dem Fellbacher Herbst“, antwortet Ruth Waiblinger, ein bisschen wohl auch zur Beruhigung der Kunden. Und auch zur Beruhigung für sich selbst. Denn klar ist, ein kleiner, bewährter Treffpunkt im Oberdorf, bricht weg. Ein Treffpunkt, der offenbar auf beiden Seiten des Schalters sehr geschätzt wurde.