Iris Kiefer (Produzentin Filmpool Fiction, l-r), Nikolai von Graevenitz (Kamera), der Schauspieler Peter Kurth, Clemens Meyer (Drehbuchautor), Peter Schneider (Rolle Michael Lehmann) und Thomas Stuber (Regie und Drehbuch) stehen zum Drehstart des Jubiläums-Polizeiruf mit dem Arbeitstitel „An der Saale hellem Strande“ in der „Freiraumgalerie“. Die Ausstrahlung ist im Mai 2021 geplant. Foto: Felix Abraham/MDR/dpa

1971 flimmerte der erste „Polizeiruf 110“ über die Bildschirme. Zum 50. Jubiläum produziert der MDR einen Extra-Krimi in Halle. Und auch sonst ist 2021 einiges los beim sogenannten Gegen-„Tatort“.

Berlin - Aus dem sozialistischen Gegenwartsfilm ist nach Ansicht vieler Zuschauer der bessere „Tatort“ geworden: 2021 wird die Krimireihe „Polizeiruf 110“ 50 Jahre alt. Sie gehört zu den wenigen Formaten, die nach 1990 den Sprung vom DDR-Fernsehen ins vereinte Deutschland geschafft haben – und dort sogar auf den prominenten Sendeplatz am Sonntagabend. Im Juni 2021 (27. 6.) hat der „Polizeiruf“ das runde Jubiläum, sieben Monate nach dem bundesrepublikanischen ARD-Klassiker „Tatort“. Seit 1971 gab es fast 390 Folgen, beim „Tatort“ sind es seit 1970 bald 1200 Folgen.

Unvergessen sind Schauspieler wie Peter Borgelt als Oberleutnant (später Hauptmann) Fuchs, Jürgen Frohriep als sein Kollege Hübner, Alfred Rücker als Leutnant Subras und Lutz Riemann als Oberleutnant Zimmermann. Anders als beim „Tatort“, bei dem es gut sieben Jahre bis zur ersten Frau Kommissarin dauerte, war beim DDR-Krimi von Anfang an eine Ermittlerin im Einsatz: Sigrid Göhler als Leutnant Vera Arndt. Auch später faszinierten vor allem die Figuren der Ermittlerinnen, darunter Angelica Domröse als Hauptkommissarin Vera Bilewski, Katrin Sass als Kommissarin Tanja Voigt, Jutta Hoffmann als Wanda Rosenbaum, Gaby Dohm als Silvia Jansen oder Imogen Kogge als Johanna Herz.

Michaela May als Jo Obermaier und Edgar Selge als Jürgen Tauber in München sind vielen noch gut im Gedächtnis, ebenso wie Uwe Steimle als besserwisserischer Kommissar Jens Hinrichs oder Henry Hübchen als Tobias Törner in Schwerin. Legendär waren Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler, die in 50 Krimis in 17 Jahren bis 2013 als Herbert Schmücke und Herbert Schneider in Halle/Saale und Umgebung Verbrecher jagten.

Beim ersten „Polizeiruf“ ging es um den Raub von 70 000 Mark aus einem Postamt

Zum 50-jährigen Bestehen des „Polizeirufs“ kehrt der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) nun nach Halle zurück - mit zunächst einem Film, dessen Ausstrahlung im Mai geplant ist. Peter Kurth und Peter Schneider sind als Ermittler in einem Krimi mit dem Titel „An der Saale hellem Strande“ zu sehen. Es geht um einen rätselhaften Mordfall, bei dem es weder ein Motiv noch Verdächtige zu geben scheint, dafür aber viele widersprüchliche Zeugenaussagen. Das Drehbuch stammt von Clemens Meyer und Thomas Stuber, die schon für die Kinofilme „Herbert“ und „In den Gängen“ zusammenarbeiteten.

Der erste „Polizeiruf“ vor 50 Jahren hieß „Der Fall Lisa Murnau“. Darin ging es um den Raub von 70 000 Mark aus einem Postamt, bei dem die Schalterbeamtin lebensgefährlich verletzt wurde.

Mord und Totschlag waren im „Polizeiruf“ der 70er und 80er eher die Ausnahme. Sadistische Mörder waren die Täter der DDR-Krimis keine - und politisch motivierte Straftäter schon gar nicht. Stattdessen standen Menschen, die anders waren als der Normalbürger – Trinker, Gestrauchelte, Diebe, Egoisten – in den Drehbüchern.

Zu DDR-Zeiten hat das Privatleben der Kommissare niemanden interessiert

Die Ermittler waren zu DDR-Zeiten auch keine Egomanen. Komplizierte Privatleben oder gar psychische Probleme gab es im sozialistischen Kriminalistenkollektiv nicht. Im Büro hing das Honecker-Bild. Die Büroarbeit, das kriminaltechnische Können und stets die Warnung vor dem Bösen standen im Mittelpunkt.

Eine Folge wurde von den DDR-Machthabern kurz vor der Ausstrahlung 1975 verboten. Das gesamte Material, dessen Vorlage die Tötung von drei Jungen durch einen Pädophilen war, sollte vernichtet werden. Durch einen Zufall wurden die Filmrollen aber nach 1990 gefunden und der Streifen mangels Ton mit Synchronsprechern rekonstruiert.

Herausragende Fälle zu DDR-Zeiten waren zum Beispiel der Film „Schuldig“, der 1978 ungewöhnlich offen Missstände im sozialen Gefüge des real existierenden Sozialismus aufzeigte. Annekathrin Bürger porträtierte darin intensiv eine Trinkerin, was vielen Zuschauern den Atem stocken ließ. Der Film wurde bis zum Mauerfall nicht wiederholt.

1988 sorgte „Der Kreuzworträtselfall“ unter anderem mit Günter Naumann als Hauptmann Günter Beck und Andreas Schmidt-Schaller als Leutnant Thomas Grawe für Aufsehen. Der Film beruhte auf einem echten Kriminalfall. Um das Verbrechen an einem Jungen, der tot in einem Koffer an einem Bahndamm gefunden wurde, zu lösen, sichteten Ermittler tonnenweise Altpapier, um den Täter zu überführen, denn in dem Koffer lag auch ein ausgefülltes Zeitungskreuzworträtsel.

Gewalt-Exzess in Dominik Grafs Münchner „Polizeiruf“

2005 waren im Münchner Krimi „Der scharlachrote Engel“ von Dominik Graf mit Edgar Selge und Michaela May die Gewaltszenen so drastisch, dass sich die ARD entschied, den Zuschauern nach der Ausstrahlung eine Online-Diskussion mit dem Regisseur anzubieten. Kritikern entgegnete Graf, er wolle Gewalt nicht verharmlosen.

2012 glänzte Sophie Rois als Schwangerschaftsvertretung von Maria Simon im Krimi „Die Gurkenkönigin“. Darin ging es um die Abgründe in einer Fabrikantenfamilie. Rois hatte neben dem legendären Horst Krause auch die hervorragende Mimin Susanne Lothar an ihrer Seite. 2015 trafen sich in einem ersten „Polizeiruf 110“-Crossover die Rostocker Ermittler mit denen aus Magdeburg – damals war in Sachsen-Anhalt noch Sylvester Groth als Jochen Drexler mit an Bord.

Eine „Polizeiruf“-„Tatort“-Zusammenarbeit gab es übrigens schon im Einheitsjahr 1990: Damals trafen im deutsch-deutschen Krimi „Unter Brüdern“ die Kommissare Fuchs und Grawe aus dem Osten (Peter Borgelt und Andreas Schmidt-Schaller) auf Schimanski und Thanner aus dem Westen (Götz George und Eberhard Feik).

Mit prominenter Besetzung ins Jubiläumsjahr

Und 2021? Beim RBB-„Polizeiruf“ aus Świecko bei Frankfurt (Oder) steigt Maria Simon (44) als Olga Lenski aus. Zehn Jahre und 18 Fälle war sie dabei. Lucas Gregorowicz (44) als Adam Raczek macht weiter. Er bestreitet nach Simons Abschiedsfall „Monstermutter“ einen Krimi im Herbst allein, bevor er den Schauspieler André Kaczmarczyk (34) als neuen Kollegen bekommt.

Beim seit 2010 aktiven NDR-Rostock-Team Alexander Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) geht es im Fall „Sabine“ um eine eigentlich stille Bürokraft, die angesichts der Stilllegung der Arunia-Werft durchdreht. In einem zweiten Krimi des oft gelobten Teams wirkt dann Bela B. Felsenheimer von der Punkband Die Ärzte mit. Er spielt den Rockstar Jo Mennecke, der im Fall eines getöteten Musikclub-Inhabers verdächtig ist und mit seinen Allüren nervt.

Beim Magdeburg-„Polizeiruf“ mit Claudia Michelsen als Doreen Brasch gab es laut MDR aufgrund der Corona-Pandemie einige Verzögerungen, es sollen aber 2021 zwei neue Fälle zu sehen sein.

Und in München, wo Matthias Brandt sieben Jahre (15 Filme) Kommissar Hanns von Meuffels war, sind nun wieder zwei neue Krimis geplant. Nach dem BR-Neustart 2019 mit Verena Altenberger gab es 2020 nämlich keinen neuen Krimi mit der Ermittlerin Elisabeth (Bessie) Eyckhoff.