Polizisten der BFE 2360 auf der Fahrt zur Festnahme eines Drogenhändlers. Für den Einsatz haben sie schusssichere Helme und Westen angezogen. Foto: Feyder

Polizisten der baden-württembergischen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit 2360 haben sich neun Monate lang Tag und Nacht bei ihren Einsätzen begleiten lassen: zu Razzien, Festnahmen und Demonstrationen.

Göppingen - 130 Meter. Als sich am 3. Dezember um 7 Uhr der stacheldrahtbewehrte Bauzaun öffnet, wissen die Polizistinnen und Polizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 2360, dass sich diese Strecke in den kommenden zehn, elf Stunden kaum geringer wird. Zwischen nördlichem und südlichem Rodungsbereich des Dannenröder Forstes stehen noch über 130 Meter Bäume. In 16 gezimmerten Hütten und auf Plattformen harren Gegner der Autobahn 49 aus, sind auf Bäume geklettert, haben sich an ihnen festgeklebt, sich in Barrikaden verborgen.

Polizeioberkommissar Michael, Chef der 2360, hat sein Team eingewiesen: „Wir gehen bis zum Camp ‚Oben‘ vor, suchen den gestern gerodeten Bereich ab und sichern dann die HITs“; die Höheninterventionsteams des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Köln, die Demonstranten aus den Hütten und von den Bäumen holen sollen.

Monate zuvor, Spätsommer: 134 Meter trennen die BFE von zwei Kokainhändlern. Kopf und Oberkörper gegen Schüsse geschützt, die Gesichter hinter Hauben verborgen. Zwei Polizisten tragen Rammen. In Schwenningen weicht langsam die Nacht dem Tag. Zeitgleich soll die BFE in die nebeneinanderliegenden Wohnungen der Dealer eindringen, sie festnehmen und die Wohnungen durchsuchen.

„Die Kriminalpolizei zieht uns immer häufiger zu solchen Einsätzen hinzu“, sagt Michael. 39 ist der Familienvater, der die 46 Frauen und Männer der BFE 2360 führt, in der derzeit sieben Muttersprachen gesprochen werden. Wie alle Polizisten in dieser Geschichte heißt er in Wirklichkeit anders.

Vergleich mit SS-Schergen im Dannenröder Forst

Im Dannenröder Forst weicht die Dunkelheit. „Ihr seid gut bezahlte Hooligans“, schallt es von den Bäumen. Mörder. Baumschänder. Und: „Ihr seid Merkels Marionetten! Wie die SS!“ Polizeihauptmeisterin Anna ist erschüttert: „Wer die Polizei in Deutschland mit der SS vergleicht, verharmlost den Völkermord an den Juden und die Verbrechen der Nazis.“ Von einem Baumhaus wird Flüssigkeit geschüttet. Oft leeren die Bewohner ihre Fäkaleimer dann aus, wenn Polizisten unter den Bäumen stehen.

Es ist eine gewalttätige Sprache, die im Wald und den Beiträgen im Internet herrscht. Während Polizisten allgemein sächlich als „Cops“, Hurensöhne und Bastarde dargestellt werden, sprechen die Demonstranten von sich als „Menschen in den Bäumen“, „Mensch mit Presseausweis“ oder „Mensch in der Barrikade“. Polizisten werden entmenschlicht: Ermittler fanden im Wald Zwillen, faustgroße Steine und Feuerwerksraketen, im Waldboden vergraben angespitzte Stahlstangen.

In Schwenningen flüstert es in den Ohrsteckern der Funkgeräte: „Freigabe für alle Objekte“. Gruppenführer Florian hebt vorne den Arm. Der letzte in der Reihe klopft seinem Vordermann auf die Schulter, der dem vor ihm. Die Schlange aus Polizisten setzt sich in Bewegung. Noch 105 Meter zu den Dealern.

Immer häufiger werden Waffen bei Razzien gefunden

Für Durchsuchungen und Festnahmen werden die sechs BFE Baden-Württembergs regelmäßig gefordert, bei denen die mutmaßlichen Täter als gefährlich gelten. Es aber unklar ist, ob die Täter bewaffnet sind. So nahmen die BFEler Mitglieder der verbotenen rockerähnlichen Gruppe „Osmanen Germania Boxclub“, in diesem Frühjahr der rechtsterroristischen Gruppe S. und mutmaßliche Reichsbürger fest. Einsätze, sagt Michael, „bei denen wir immer häufiger auf Waffen stoßen“.

Dabei wurden im Südwesten BFE aufgestellt, um in den Brennpunkten unfriedlicher Demonstrationen gewalttätige Störer festzunehmen: Nach den Auseinandersetzungen um die Startbahn West am Frankfurter Flughafen wurden Straftäter deshalb nicht verurteilt, weil ihre Gewalttaten nicht nachgewiesen wurden. Hessen stellte 1987 eine erste Einheit auf, Baden-Württemberg folgte im Februar 1996 als eines der letzten Bundesländer.

Sechs Wochen Ausbildung zum BFE-Beamten kann durchlaufen, wer ein Auswahlverfahren inklusive eines Gesprächs mit den Einheitsführern erfolgreich besteht.

300 Überstunden – und keine Zulage

Danach erwartet dieser Alltag die Polizisten: Am Wochenende Demonstrationen. Werktags Dienstbeginn oft zwischen 1.30 Uhr und 4 Uhr – oder um 16 Uhr, um zu Razzien auszurücken. Nur wenige haben 2020 Wochenenden mit ihrer Familie verbracht. 300 Überstunden sind keine Seltenheit, dafür gibt es – im Gegensatz zum Streifendienst – keine Zulage.

In Korb nahmen sie im Sommer einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus Gambia fest, der für den dortigen Geheimdienst gefoltert haben soll. Als die Ramme gegen seine Zimmertür krachte, sprang der Mann aus dem Fenster im ersten Stock. Verdrehte sich das Knie. Die zur Hilfe eilende Beamtin beschimpfte er: „Lass‘ mich in Ruhe, Du Schlampe!“ – der einzige Satz auf Deutsch, den er fehlerfrei hervorbringt. Anders als in Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Hessen werden in Baden-Württemberg die BFE nicht zur Unterstützung des SEK herangezogen. Allerdings: Als im Sommer in Oppenau die Polizei tagelang in den Wäldern nach einem Bewaffneten suchte, unterstützten die BFEler das SEK.

Im Dannenröder Forst schmerzt ab Mittag den Polizisten der Rücken. Sechs Kilo wiegt die kurz KSA genannte Körperschutzausstattung, zwei Kilo Funkgeräte und Technik, zwei Kilo der Helm. Drei, vier Baumhäuser sind geräumt. Eine junge Frau hat ihre Handflächen mit Sekundenkleber an die Unterarme geklebt. Eine Polizeiärztin löst die Hände, die Frau wird festgenommen, dokumentiert von Polizisten mit Videokamera. Dann wird die Festgenommene zur Kriminalpolizei geführt. 600 Meter Weg, durch Matsch und Pfützen.

Einsätze in anderen Bundesländern

„Auslandseinsatz“ nennen die Südwest BFEler es, wenn sie nach Hessen geschickt werden. In Berlin das berüchtigte Haus Liebigstraße 34 räumen oder Wohnungen arabischer Clanmitglieder durchsuchen. Wenn sie im Hambacher Forst Rodungsarbeiten, den G-20-Gipfel in Hamburg, Atomtransporte schützen oder die Meinungsfreiheit bei genehmigten Demonstrationen. Dafür werden sie mit „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ oder als „Nazis“ verhöhnt.

5.48 Uhr in Schwenningen. Kein Blick aufs Handy mehr, keine Frotzeleien. Auf der Fahrt zum Haus der mutmaßlichen Drogenhändler schweigen die BFLer. Viele gehen im Kopf den Bauplan der Wohnungen noch einmal durch. Max mit den Händen: Eingangstür, den Flur nach links, dann geradeaus. „Als würdest Du in einen Tunnel gehen: Nur noch diese Aufgabe ist in meinem Kopf. Erst wenn wir die Wohnung gesichert haben, komm’ ich aus dem Tunnel wieder raus.“

Lautlos hat er mit seinen Kollegen die Tür zum Mehrfamilienhaus geöffnet. Kurz geradeaus, links, wieder rechts. Am Ende des langen Flurs die Wohnungstür des einen Dealers. Rechts davor die des zweiten. Keine hektischen Bewegungen. Eher fließend anmutige. Wie von Balletttänzern. Ein Wäschereck blockiert den Flur. Zwei Polizisten heben ihn zur Seite, die BFE schiebt sich lautlos in Position. Vorne die Breacher, die die Türen aufbrechen. Dahinter die Festnahmetrupps. Aus einer Wohnung dringt Musik. Noch fünf Meter.

27 Kilometer legte die 2360 in der ersten Wochenendnacht nach den Krawallen in der Stuttgarter Innenstadt zurück: Aufzug auf dem Kleinen Schlossplatz, um den sich zusammenrottenden Stuttgarter Türstehern zu zeigen, dass die Polizei für Recht und Ordnung zuständig ist. Suche an der Weinsteige nach Mitgliedern der rechtsradikalen Identitären Bewegung. Suche und Festnahme von Schlägern. Bis zum Morgen haben sie 73 Mal gehört, sie seien Hurensöhne.

Gewissenskonflikt an der Johanneskirche

An der Johanneskirche forderten sie um 2 Uhr 250 feiernde junge Menschen auf, die Treppe an Südufer des Feuersees zu verlassen: zu laut, zu viel Alkohol. „Der ist der Einzige, bei dem es mir leidtut, dass wir ihn weggeschickt haben“, sagte Gruppenführer Pascal. Er schaute dem Obdachlosen nach, der seine Habseligkeiten in einem Trolly hinter sich zog. Immer wieder kommen die Polizisten auf den Schwarzen zu sprechen, der auf einer Parkbank schlief: War es richtig, ihm den Schlafplatz zu nehmen? Das Team spricht über den inneren Konflikt, persönliche Einstellungen hintanzustellen, weil vor dem Gesetz alle gleich sein sollen.

Auch in Dannenrod. In der Abenddämmerung eskaliert die Lage, als zwei Demonstranten überraschend eine Forstmaschine entern und besetzen. Die BFE verhindert, dass weitere Demonstranten zu dem Harvester durchbrechen. Wenig später beendet die Dunkelheit diesen Einsatztag der 2360.

In Schwenningen kracht um 6 Uhr die Ramme gegen das Türschloss. Die Wohnungstür fliegt auf. 13 Sekunden später liegt der eine Drogenhändler auf seinem Bett, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Er wird durchsucht und von Amelie bewacht, die er aus den Augenwinkeln abschätzt. Selbst durch den unförmig machenden, petrolfarbenen Overall ist zu sehen, dass diese 1,70 Meter durchtrainiert sind. Fünf Stunden dauert die Durchsuchung der kleinen Wohnung, zwei die Rückfahrt nach Göppingen. Um 1.30 Uhr fängt der nächste Dienst an.