Die SPD hat auf der Video-Plattform Tiktok noch Luft nach oben, sagen SPDler, die sich mit dem Thema auskennen. Zum Beispiel ein ehemaliger Abgeordneter aus Sigmaringen.
„Die AfD will Kernkraftwerke bauen, um Benzin herzustellen“, sagt Robin Mesarosch am Rednerpult im Bundestag. „Muss man drauf kommen.“ Er spielt die Forderung der AfD durch, sinniert über angereichertes Uran, Brennstäbe und lange Kohlenwasserstoffketten. „Dafür habe ich jetzt schwachsinnige drei Minuten gebraucht“, resümiert er dann. „Was ist das denn für ein Quatsch?“
Robin Mesarosch saß von 2021 bis 2025 für die SPD im Bundestag. In seinen Reden blitzt manchmal der schwäbische Dialekt durch, den ihm seine Herkunft aus dem Wahlkreis Zollernalb/Sigmaringen beschert hat. Auch, weil er sich manchmal in Rage redet, über Friedrich Merz, die Migrationspolitik der Union und eben die AfD. Mit solchen Botschaften erreicht er nicht nur die Abgeordneten im Plenarsaal, sondern auch in der Video-App Tiktok mehr als 56.000 Menschen. Die Rede über das Kernkraftwerk-Benzin der AfD hat ihm die meisten Klicks beschert: 1,4 Millionen Mal haben sich Menschen das Video angesehen.
Für eine Wiederwahl hat es bei Mesarosch nicht gereicht
Der 34-Jährige ist damit einer von wenigen erfolgreichen Sozialdemokraten auf Tiktok. Inzwischen sitzt er nicht mehr im Bundestag, für eine Wiederwahl hat es nicht gereicht. Trotzdem will er mit seinem Social Media-Auftritt weitermachen.
Seine Videos sind lang und analytisch, er betont Fakten und will falsche Aussagen aufklären – oft die der AfD. Ehrlichkeit, Argumente und klare Ansagen, damit will er auf Tiktok landen. „Ohne rumzuhampeln.“ Viele hätten einen schrägen Eindruck von der Plattform, dass man dort nur tanze und auf Trends aufspringe. Das stimme aber überhaupt nicht. „Man darf und muss den Leuten viel mehr zutrauen.“
@mesarosch Benzin aus Atomkraftwerken? Das hat die AfD im Bundestag gefordert. Ich habe mal durchgespielt, was das bedeuten würde. Nur: Es ist halt kein Spiel. Wenn sie regieren würden, hätten sie wirklich nur sowas im Angebot für unsere Energieversorgung. Und leider hören wir solche abwegigen Vorschläge zunehmend auch von CDU und FDP. Da kommt das Benzin dann nicht aus dem Atomkraftwerk. Aber auch sie reden über E-Fuels für alle Leute, wobei völlig klar ist, dass wir in den nächsten Jahrzehnten a) nicht solche Mengen herstellen können, b) es teuer und c) meistens eine enorme Energieverschwendung wäre. Was mich aufregt: Das sind dieselben Leute, die rumlaufen und uns erzählen wollen, wie bescheuert die Energiewende doch wäre. Ich habe in meiner Rede einfach mal beide Konzepte nebeneinander gelegt. Urteilt selbst. #bundestag #politik #reclaimtiktok #foryoupage #fyp #fy #foryou #klimaschutz ♬ Originalton - Robin Mesarosch
Das sagt er auch mit Blick auf seine eigene Partei. Dass die SPD auf Tiktok nicht besonders erfolgreich ist, sehe man auch von außen, sagt er. Zum Beispiel sieht man es in den 655 Datenspenden von Tiktok-Nutzern, die unsere Redaktion gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk, dem Weizenbaum-Institut und der Uni Zürich ausgewertet hat. Dort taucht die SPD in einem politisch linken Milieu auf, gemeinsam mit Videos von Grünen und Linkspartei. Repräsentativ ist die Erhebung zwar nicht: Etwa 80 Prozent der Datenspender gaben an, mit der Zweitstimme Linke oder Grüne gewählt zu haben. Erst dann folgt deutlich abgeschlagen die SPD. Doch in dieser jungen, politikinteressierten Gruppe sieht man die SPD offenbar eher im rot-rot-grünen Lager als in einem Bündnis mit der Union – und die „alte Tante“ ist in dieser Zielgruppe weniger erfolgreich als Linke und Grüne.
Auf Anfrage unserer Redaktion will die Bundespartei sich in Sachen Tiktok nicht recht in die Karten schauen lassen. „TikTok spielte im Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle, um Botschaften der SPD zielgruppengerecht zu verbreiten, und tut dies auch darüber hinaus. Uns ist es wichtig, mit Menschen jeden Alters überall dort in Kontakt zu kommen, wo sie ansprechbar sind“, schreibt ein SPD-Sprecher. Gegenwärtig wachse man auf Tiktok. „Dazu nutzen wir Formate wie TikTok-Lives und Creator-Kooperationen, um klare Botschaften zu setzen.“
Zum Beispiel spreche die SPD gezielt Influencer für gemeinsame Formate mit Kandidierenden im Wahlkampf an. Der Tiktoker Brooklyn etwa hat mit einem Video die Aufmerksamkeit der SPD erlangt, in dem er lamentiert, dass der Einkauf im Supermarkt so viel teurer geworden sei. In einem späteren Video steht Olaf Scholz lächelnd neben dem tanzenden Influencer. 8,8 Millionen Menschen haben das Video gesehen.
Trotzdem: So richtig gezündet hat Tiktok bei der SPD nicht. Die Schwäche der SPD liegt laut Mesarosch zum einen darin, dass Spitzenpolitiker nicht die nötige Zeit und Ressourcen einsetzen. Zum anderen wirft er seiner Partei vor, eher auf Trends aufzuspringen, statt Tiktok als grundsätzliches politisches Instrument zu sehen. „Dabei bleibt viel Potenzial liegen“, sagt er. Und noch schlimmer: „Es geht was kaputt, wenn junge Leute dadurch das Gefühl kriegen, Politik wäre oberflächlich.“ Zwar betont er, dass sein Weg mit den tiefgehenden Analysen nicht der einzig wahre ist. Aber er funktioniert.
Mehr Charisma würde der SPD guttun
Das attestiert ihm auch Mattheus Berg. Der 23-Jährige ist Social Media-Berater und hat an vielen Stellen mit der SPD zusammengearbeitet – er ist selbst Parteimitglied. Robin Mesarosch nennt er als Positiv-Beispiel im Umgang mit Tiktok. Weil er Charisma mitbringt. Ein bisschen mehr davon, findet Berg, könnte der SPD guttun. Sie müsse authentische Leute stärken, die sowieso schon auf den Plattformen posten. Auch Mesarosch sieht darin Potenzial. „Das ist das Überzeugendste, das Ansteckendste, was man machen kann“, sagt er.
Authentisch, kreativ, ehrlich sein, das ist laut Mattheus Berg wichtig. Aber: „Viele Politiker sind aus Angst auf TikTok gegangen“, sagt er. Vor allem aus Angst vor der AfD. Dort setzten sie dann auf vergleichsweise langweilige Formate. Die SPD sei sehr technisch unterwegs, fokussiert aufs Detail. Was fehlt, seien die Gefühle. „Da muss eine Partei, die ‚sozial’ im Namen hat, viel mehr liefern“, findet er.
Gleichzeitig räumt der Social Media-Berater ein: „Politik wird niemals imstande sein, mit Videos über Cristiano Ronaldo zu konkurrieren“, sagt er. Das müsse sie auch nicht. Ein Grundrauschen herzustellen und dann mit gezielten Posts virale Erfolge zu erzielen, das wäre ein Ziel. Aber: „Wir schaffen es als SPD momentan nicht, eine Lautstärke zu generieren, die bei den Leuten durchdringt, weil wir in der Kommunikation zu konfliktscheu agieren“, sagt er. „Wir sind eben langweilig.“
Vielleicht ändert sich das ja mit dem neuen Regierungspartner. Robin Mesarosch jedenfalls muss sich da erst einmal einfinden. Wie über Themen sprechen, die ihm ordentlich gegen den Strich gehen – die seine Partei aber mitträgt? „Emotional sehe ich mich gerade eher in der Opposition“, sagt er. Ein Stück weit werde er aber genau so weitermachen wie bisher. „Ich habe auch davor nie etwas behauptet, hinter dem ich nicht stehe“, sagt er. Ein Spagat: Nicht nur zu kritisieren, denn nichts sei automatisch falsch, nur weil es von der CDU komme – „aber wenn wir den Konservativen nichts entgegensetzen, werden gewisse Sachen halt auch nie besser“.
Die Analyse
Links der Mitte
Die Nutzerdaten zeigen erstmals und deutlich, dass die Grenzen links der Mitte fließend sind. Wer im Februar für die Linkspartei gestimmt hat oder Linken-Politikern wie Heidi Reichinnek folgt, sieht am ehesten Videos der Partei – aber auch viele von SPD und Grünen. Für Sozialdemokraten und Grüne gilt das entsprechend.