Diesmal sitzen auf der Richterbank LKA-Chef Andreas Stenger, Generalbundesanwalt Jens Rommel und Ex-Justizminister Ulrich Goll (vl.) – eingerahmt von StN-Chefredakteur Christoph Reisinger (l.)und Reporter Franz Feyder. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Sie sind sich einig: die Herausforderungen sind riesig. Ein illustres Podium aus Generalbundesanwalt Jens Rommel, dem LKA-Chef Andreas Stenger und Ex-Justizminister Ulrich Goll diskutiert die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates.

Der Name hat noch immer einen besonderen Klang. Denn Stammheim ist mit Beginn der Prozesse gegen die Vertreter der ersten Generation der Roten Armee-Fraktion (RAF) vor 50 Jahren zum Synonym für die Antwort des Rechtsstaats auf Terrortaten gegen die staatliche Ordnung geworden. Doch der Stadtbezirk im Norden der Landeshauptstadt ist mehr als nur ein Synonym, er ist auch der Ort, an dem seit 2019 in einem der modernsten Hochsicherheitsgebäude die Staatsschutzsenate des Oberlandesgerichts Stuttgart ihre Verhandlungen führen. Sie sind zuständig, wenn die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Verbrechen aus dem Bereich des Völkerstrafrechts gegen terroristische Vereinigungen, Taten aus dem rechts- oder linksextremistischen Bereich und des radikalen Islamismus anklagt.

„Staatsschutz“, so sagt es Andreas Singer, der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, „ist immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen.“ Die Zahl der Prozesse nehme zu. Im Moment, so Singer, sind es 17 Verfahren. Am 13. Februar beginnt das Verfahren wegen der tödlichen Messerattacke gegen einen Polizisten auf dem Mannheimer Marktplatz. Aktuell wird auch einer der drei Prozesse gegen die Gruppe um Prinz Reuß hier verhandelt.

Aufmerksames Publikum im Zuschauerraum des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim Foto: Max Kovalenko/Lichtgut

Keine Frage, das Gebäude mit den Einlasskontrollen, den zwei technisch bestens ausgestatteten Gerichtssälen mit Trennscheiben aus Sicherheitsglas, ist ein Ort, der interessiert. Und so folgten am Donnerstagabend hundert Leserinnen und Leser der Einladung von Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und des Oberlandesgerichts, einmal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. In seiner Begrüßung sagte Singer: „Die wachsende Bedrohungslage ist in unseren Gerichtssälen angekommen“. 25 000 gewaltbereite Personen zähle der Verfassungsschutz. Die Konsequenz aus Polarisierung und Radikalisierung dürfe aber nicht Zweifel und Rückzug sein. Er betonte, dass der Staat nicht disfunktional sei, wie seine Gegner unterstellten.

Auf die Frage, wie wehrhaft der Rechtsstaat in der aktuellen Lage sein müsse, versuchten auf dem Podium der Generalbundesanwalt Jens Rommel, der Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg Andreas Stenger und der ehemalige baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll eine Antwort. Dabei machte Andreas Stenger im Gespräch mit den Moderatoren Christoph Reisinger, dem Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, und dem Autor Franz Feyder jedoch deutlich, dass es die absolute Sicherheit nicht gebe. Man aber gleichzeitig, wenn – wie geschehen – auf einem Flughafen ein Cargobehälter brenne, ohne Ängste schüren zu wollen, immer auch an Spionage denken müsse. Die Anforderungen, die Stenger umriss, sind riesig. Sie reichen von Drohnenüberflügen über Eingriffe in die kritische Infrastruktur, die Mafia bis zum Bandenkrieg in der Region. Dort habe man gerade den 96. Haftbefehl erwirkt. Die Gerichte haben, so Stenger, bisher 126 Jahre Haft verhängt.

Ermittlungen verbessern Sicherheitsgefühl

Jens Rommel, der durch das Weltrechtsprinzip auch Taten etwa in Syrien in Deutschland anklagen kann, schüttete ein bisschen Wasser in den Wein: „Deutschland kann nicht alle Verbrechen dieser Welt aufklären.“ Er betonte aber gleichzeitig, dass durch jeden Täter, „den wir aus dem Verkehr ziehen“, sich nicht nur die Sicherheitslage verbessere. Durch Berichterstattung wirke sich das auch auf das Sicherheitsgefühl aus.

Der FDP-Politiker Ulrich Goll ist sich sicher, niemand schaffe es, trotz der Herausforderungen, den Rechtsstaat aus den Angeln zu heben. Aber auch er spielte auf die gefühlte Sicherheitslage an. „Wir machen die Rechte stark, weil wir nicht alles richtig machen.“ An Brennpunkten wie dem Stuttgarter Bahnhof würden bei Zwischenfällen „mal schnell 80 Beamte hingeschickt. An andere Orte nicht“. Instabile Zustände und Menschen, die keine Perspektive für sich sehen, würden dann von rechten Parteien ausgenutzt.

Hoher Verfolgungsdruck ist wichtig

Wo sieht die Runde Möglichkeiten, die Schlagkraft des Rechtsstaates zu stärken, fragten die Moderatoren am Schluss – etwa mit der verbesserten Vorratsdatenspeicherung. Der LKA-Chef verwies auf die Internet-Monitoringstelle, die Daten aus dem Netz besser zusammenführen solle. Wichtig für den Ermittlungserfolg sei ein hoher Verfolgungsdruck. Generalbundesanwalt Rommel sieht in einem zeitlich ausgedehnten Zugriff auf vorhandene Daten „nicht den allein selig machenden Ermittlungsansatz“. Für ihn stelle sich dann die Frage, wo die Schwelle zur Straftat liege. Viele der Besucherinnen und Besucher lernten an diesem Abend bei der Führung durch das Gebäude zusätzlich zu den Einschätzungen auf dem Podium ganz nebenbei auch ein neues Wort. Das verglaste Drehkreuz im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes heißt bei den Justizbeamten Personenvereinzelungsanlage.