Bettina Jarasch wandte sich mit einem starken Appell für mehr Bildungsgerechtigkeit an die Delegierten. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die früher für ihre Streitlust berüchtigte grüne Basis folgt diesmal fast allen Vorschlägen des Vorstandes. Konzentriertes Arbeiten und Kompromissbereitschaft prägen den Bundesparteitag der Grünen. Denn diesmal geht es um viel mehr als sonst: das Kanzleramt.

Berlin - Die Grünen gehen mit einem Programm in den Bundestagswahlkampf, das auf mehr sozialen Ausgleich setzt. Maximalpositionen wie die Einführung der 30-Stunden-Woche fanden am Samstag, dem zweiten Tag des digitalen Parteitages, keine Mehrheit.

In einem ersten Schritt wollen die Grünen die Hartz-IV-Regelsätze um mindestens 50 Euro anheben. Mittelfristig solle Hartz IV „überwunden“ und durch eine sogenannte Garantiesicherung abgelöst werden, die ohne „bürokratische Sanktionen“ gewährt werden solle.

Außerdem gehen die Grünen mit der Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro in den Wahlkampf. Ein Antrag aus den Reihen der Delegierten, 13 Euro als Ziel ins Wahlprogramm zu schreiben, wurde abgelehnt. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte betont, die Grünen seien mit den zwölf Euro „in einem sehr breiten Bündnis mit den Gewerkschaften“. Diese Allianz sollte man nicht gefährden. Die derzeitige Lohnuntergrenze liegt bei 9,50 Euro und steigt ab Juli auf 9,60 Euro. Nach bisheriger Rechtslage soll der Mindestlohn dann zum 1. Juli 2022 bei brutto 10,45 Euro liegen. Dann soll er durch die Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter an die Tariflohn-Entwicklung angepasst werden.

Mehr Investitionen in Bildung

In fast in allen Punkten konnte sich der Grünen-Bundesvorstand mit seinen Vorschlägen durchsetzen. Beim Rentenniveau folgte ihm die Mehrheit in einer Detailfrage nicht. Deshalb heißt es im Programm jetzt: „Die langfristige Sicherung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent hat für uns hohe Priorität.“ Der Vorstand hatte in seinem Entwurf hier nur eine Sicherung von 48 Prozent - ohne den Zusatz „mindestens“ - vorgesehen.

Mit großer Mehrheit sprachen sich die rund 800 Delegierten für mehr Investitionen in Bildung und Forschung aus. Sie stimmten klar und ohne Kampfabstimmungen für mehr finanzielle Unterstützung in Kitas, Schulen und in der Berufsausbildung sowie für einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Staat und Unternehmen sollten bis 2025 mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung investieren. Perspektivisch sollen die Investitionen weiter steigen.

Bund, Länder und Kommunen sollen nach dem Willen der Grünen gemeinsam einen Corona-Rettungsschirm auflegen, um die negativen Pandemie-Folgen für Kinder in der Bildung abzufedern. Eine konkrete Summe wurde an dieser Stelle nicht genannt.

Bildungsrückstände aufholen

Auch den Sanierungsstau an Schulgebäuden wollen die Grünen beheben, die Schulsozialarbeit ausbauen und flächendeckend als Bestandteil der Ganztagsangebote verankern. An Kitas soll der Betreuungsschlüssel Mindeststandards erfüllen, um Erzieherinnen und Erzieher zu entlasten. Mehr Betreuungsangebote soll es für Alleinerziehende geben.

Die grüne Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin, Bettina Jarasch, wandte sich mit einem starken Appell für mehr Bildungsgerechtigkeit an die Delegierten. Die Corona-Pandemie sei „keine gute Zeit für Kinder und Jugendliche“ gewesen, sagte Jarasch. Bildungsrückstände müssten dringend aufgeholt werden, erklärte die Grünen-Politikerin. Außerdem müsse es für Familien mehr kostenlose Kulturangebote geben, etwa freie Zoo-, Schwimmbad- und Museumsbesuche. Mehr Gerechtigkeit in der Bildung bedeute etwa auch, das Bafög für Auszubildende und Studenten auszuweiten.

Am Nachmittag sollten die Delegierten Parteichefin Annalena Baerbock als erste grüne Kanzlerkandidatin bestätigen. Zugleich soll auch das Wahlkampf-Spitzenduo aus Baerbock und Co-Parteichef Robert Habeck offiziell bekräftigt werden. Über beide Personalien - Kanzlerkandidatin und Spitzenduo - entscheiden die Delegierten in einer einzigen Abstimmung. Der Parteitag endet am Sonntag, wo außenpolitische Themen auf der Tagesordnung stehen.