Jonas Gahr Støre (2.v.r), Vorsitzender der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, jubelt nach der Auszählung der Wahlergebnisse. Foto: dpa/Javad Parsa

Norwegen vor dem Regierungswechsel: Bei der Parlamentswahl haben sich die Sozialdemokraten durchgesetzt, ein linksgerichtetes Bündnis gilt als sicher. Das dürfte Folgen für die Ölindustrie im Land haben.

Oslo - In Norwegen kommt es zu einem Regierungswechsel, der Konsequenzen für die Ölindustrie haben dürfte: Die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsidentin Erna Solberg wird aller Voraussicht nach durch ein linksgerichtetes Bündnis unter Führung der Sozialdemokraten von Jonas Gahr Støre abgelöst. Solberg, die acht Jahre das Land regierte, rutschte mit ihrer Partei vorläufigen Zahlen zufolge von 25 auf 20,4 Prozent ab und räumte ihre Niederlage ein.

Differenzen in der Klimapolitik

Støre wird aller Voraussicht nach den Regierungsbildungsauftrag erhalten. Allerdings dürfte es nicht einfach werden, eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden. Denn Støres Sozialdemokraten kommen mit 26,4 Prozent der Stimmen auf das schlechteste Wahlergebnis seit 2001 und das zweitschlechteste seit 100 Jahren.

Der 61-jährige Støre braucht deshalb mindestens zwei weitere Koalitionspartner für die Bildung einer stabilen Regierung. Nach eigenen Worten wäre das „Traum-Team“ eine Koalition aus der bäuerlichen Zentrumspartei und der sozialistischen Linkspartei. Zusammen bekämen die drei Parteien 100 der insgesamt 169 Mandate im norwegischen Parlament. Doch die Bildung dieser rot-grünen Dreier-Koalition dürfte dem aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Støre einige Kopfschmerzen bereiten. Denn vor allem in der künftigen Klimapolitik stehen die Parteien teils weit auseinander. Während Støres Sozialdemokraten im Wahlkampf zwar einen schrittweisen Ausstieg aus der Öl- und Gasförderung angekündigt haben, ohne dabei allerdings ein Datum zu nennen, fordert die sozialistische Linkspartei einen schnellen Stopp der Ölförderung, die das Land zu einem der wohlhabendsten der Welt gemacht hat.

Zentrumspartei will weitermachen wie gehabt

Støre hatte im Wahlkampf eine „faire Klimapolitik“ angekündigt, sollte er Regierungschef werden. Die Öl- und Gasvorkommen neigen sich dem Ende zu, ein vorzeitiger Ausstieg aus der Industrie, die dem Land jährlich Einnahmen von mehr als 40 Milliarden Euro beschert, sei mit ihm aber nicht zu machen. Die sozialistische Linkspartei will hingegen den Ausstieg aus der Ölförderung schnellstmöglich durchführen.

Ein „Weiter so“ hält dagegen die Zentrumspartei für den besten Weg. Sie hat sich in der Vergangenheit vehement für die Belange der Ölindustrie eingesetzt. Die Frage ist, ob Støre einen Kompromiss finden kann, dem sowohl Zentrumspartei als auch sozialistische Linkspartei zustimmen können.

Größter Staatsfonds der Welt mit einer Billion Euro

Dass die Frage der Ölförderung und des Klimaschutzes zu den wichtigsten Themen im Wahlkampf gehörte, liegt an der Bedeutung dieser Industrie für das Land mit 5,3 Millionen Einwohnern. Rund 200 000 Menschen sind in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt. Die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung fließen seit Jahrzehnten in den Ölfonds, der den Wohlfahrtsstaat auch für kommende Generationen sichern soll. Mittlerweile verwaltet dieser größte Staatsfonds der Welt mehr als eine Billion Euro.

Als Anfang August der Weltklimarat IPCC seinen Bericht über die Folgen der Erderwärmung veröffentlichte und eine Erwärmung der Erde um 1,5 Grad bereits 2030 vorhersagte, schlug das in Norwegen ein wie eine Bombe und veränderte den Wahlkampf schlagartig. Auf einmal wurde vielen Norwegern bewusst, dass ihr Land einerseits zu den Vorreitern bei der Elektromobilität mit einem Elektroautoanteil von 70 Prozent bei den Neuwagenverkäufen zählt, bei der Stromerzeugung nahezu komplett auf Wasserkraft und Windenergie setzt und somit auf fossile Energieträger verzichtet – andererseits aber einer der größten Exporteure von Öl und Gas weltweit ist und somit zu erheblichen CO2-Emissionen beiträgt. Bis 2035 will das Land klimaneutral werden, gleichzeitig aber nicht auf den durch den Öl- und Gasexport erreichten Wohlstand verzichten.