Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kann sich ein Pilotprojekt mit einer Paket-U-Bahn vorstellen. (Symbolfoto) Foto: dpa/Uli Deck

Im Schacht durch die Nacht: U-Bahnen könnten nach Betriebsschluss Pakete in einzelne Stadtteile liefern, meint Verkehrsminister Scheuer. Er lobt die Idee als Mittel gegen den zunehmenden Lieferverkehr. Doch es gibt viele offene Fragen.

Berlin - Der Onlinehandel boomt - und mit ihm auch der Verkehr in den Städten. Denn immer mehr Pakete bedeuten immer mehr Lieferwagen, die sich einen Weg durch den Stadtverkehr bahnen, zum Ausladen in der zweiten Reihe parken und Staus verursachen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will nun neu denken - und dafür unterirdische Wege nutzen. „Ich wäre dazu bereit, ein Pilotprojekt mit einer Stadt zu machen, wo wir eine U-Bahn umbauen und eine spezielle Paket-U-Bahn daraus machen“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (Samstag).

Solch eine Bahn könne nachts von 2.00 Uhr an fahren und Pakete sowie Päckchen zu Zwischenlagern - sogenannten Mikro-Hubs - an Haltestellen in einzelnen Stadtteilen transportieren, so der Minister. „Wir installieren Mikro-Hubs, von dort aus können die Lieferanten die Waren mit einem Elektro-Lastenfahrrad weitertransportieren“, sagte Scheuer. „Es geht darum, dass wir oberirdisch Verkehr reduzieren.“

Branchenvertreter stimmen Änderungen zu

Branchenvertreter stimmen zu, dass - gerade angesichts des Drucks, den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen zu verringern - Änderungen nötig sind. „Dazu ist eine Verlagerung von Verkehren, sowohl für Personen als auch Güter, auf die umweltfreundlichen Verkehrsmittel zwingend notwendig“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Oliver Wolff, der Deutschen Presse-Agentur. Für Scheuers Idee zeigte er sich offen: „Um dies zu erreichen, sollte man auch auf den ersten Blick ungewöhnliche Ideen durchaus diskutieren und abwägen.“

Immer mehr Menschen ordern immer mehr Sachen im Internet: Im vergangenen Jahr bestellten Verbraucher Waren und Dienstleistungen im Wert von 94 Milliarden Euro und damit rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr, wie aus Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel hervorgeht. Davon profitiert besonders die Paketbranche: 2019 erwirtschafteten die Dienstleister in Deutschland der Bundesnetzagentur zufolge 18,78 Milliarden Euro. Tendenz steigend: 2018 lagen die Gesamterlöse bei 17,66 Milliarden Euro.

Verkehr könnte spürbar entlastet werden

Wenn nun Pakete und Päckchen auch per U-Bahn - oder per Straßenbahn - durch Großstädte transportiert würden, könnte das den Verkehr spürbar entlasten, betonte Scheuer. Er rechnet damit, dass der Lieferverkehr, der etwa wegen des Haltens von Fahrzeugen in der zweiten Reihe für zusätzliche Staus sorgt, um bis zu 20 Prozent reduziert werden könnte. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic, stimmte zu: „Wir brauchen Smart-City-Konzepte mit IT-gestützter Optimierung der Verkehrswege“, betonte er. Dafür seien Mikro-Hubs für den Paketlieferverkehr ein guter Ansatz.

Daran arbeitet auch der Paketdienst Hermes. „Unser Ziel ist es, in den kommenden Jahren in den 80 größten deutschen Städten emissionsfrei zuzustellen“, teilte das Unternehmen mit. Ein Mittel dazu sei, „alternative Zustellmodelle wie die Zustellung mit dem Lastenrad“ zu testen. Derzeit laufe die Auswertung einer „Logistiktram“, die das Unternehmen 2019 in Zusammenarbeit mit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt eingesetzt hatte. In Berlin untersuchte Hermes den Weitertransport von Sendungen mit Lastenrädern.

Doch für einen flächendeckenden Ansatz müssen noch mehrere Fragen geklärt werden, wie VDV-Hauptgeschäftsführer Wolff anmerkte. So dürften die normalen Abläufe nicht gestört werden. „Nachts beziehungsweise nach Betriebsschluss werden in den U-Bahnsystemen notwendige Reparaturen und Instandhaltungen durchgeführt, die man während der normalen Betriebszeit nicht umsetzen kann“, sagte Wolff. Nötig sei auch mehr Personal - ein schwieriges Thema, wie auch die Paketbranche spürt. „Schon seit längerem ist der Arbeitsmarkt zunehmend leer gefegt“, hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kürzlich angemerkt. Es fehlte etwa eine tarifliche Absicherung.

Idee nicht neu

Die Idee, Pakete per U-Bahn oder Straßenbahn zu verschicken, ist nicht neu. So gab es in Berlin bereits entsprechende Überlegungen. Dort hatten etwa in den 1930er Jahren Güterstraßenbahnen Pakete ausgeliefert. In der US-Großstadt Chicago wurden eigens Tunnel für den Warentransport per Metro gebaut. Aufgrund des Aufschwungs bei Lastwagen wurde die unterirdische Belieferung aber 1959 eingestellt.

In der französischen Stadt St. Etienne wurden 2016/17 versuchsweise Waren und Pakete mit Straßenbahnen hin- und hergefahren. Zum Abschluss hieß es, das Projekt sei wirtschaftlich nicht realisierbar, zudem habe es technische Probleme gegeben. Die Schweiz will ausarbeiten, wie Anlagen für den unterirdischen Gütertransport gebaut und betrieben werden können. Dafür wurde jüngst ein Gesetz erlassen.

So schnell geht es in Deutschland nicht. „Ob die Nutzung von U-Bahnen in der Praxis funktioniert, muss man herausfinden“, sagte FDP-Verkehrsexperte Luksic. Vom VDV heißt es: „Wenn man bundesweit über solche Lösungen nachdenken möchte, dann könnten sich vermutlich eher die Straßenbahnen eignen.“ Als Beispiel gilt die „Cargo-Tram“ in Dresden: Die Güterstraßenbahn liefert Bauteile für die „Gläserne Manufaktur“, in der Volkswagen den E-Golf baut.

In wenigen Städten in Deutschland gibt es geschlossene U-Bahn-Systeme mit sogenanntem kreuzungsfreien Verkehr. In den meisten Kommunen teilen sich die Stadtbahnen die Verkehrsflächen mit Bussen, Autos, Lastwagen, Motor- und Fahrrädern.