Picquart (Jean Dujardin, links) und Dreyfus (Louis Garrel). Foto: Guy Ferrandis - Guy Ferrandis

Ende des 19. Jahrhunderts hat die „Dreyfus-Affäre“ in Frankreich Militär, Politik und Gesellschaft erschüttert. Oscar-Gewinner Roman Polanski hat die alte Geschichte neu verfilmt, und er zieht Parallelen zur Gegenwart – auch zu seiner eigenen.

EsslingenIm französischen Original heißt Roman Polanskis neuer Film „J’accuse“ – „Ich klage an“. Obwohl der Oscarpreisträger von einem politischen Skandal erzählt, der das Land vor mehr als 100 Jahren erschütterte, könnte der Titel auch als persönliche Abrechnung des Regisseurs verstanden werden. Immerhin holte Polanski im Zuge der MeToo-Bewegung ein Missbrauchsfall aus dem Jahr 1977 wieder ein. In seinem aktuellen Werk, das hierzulande unter dem Titel „Intrige“ in die Kinos kommt, thematisiert der 86-Jährige eine verlogene Gesellschaft, der die Wahrheit nicht so wichtig ist wie Vorverurteilungen und der Erhalt von Macht.

„Intrige“ spielt in Paris Ende des 19. Jahrhunderts. 1894 wird Alfred Dreyfus (Louis Garrel) von einem Militärgericht wegen Hochverrats verurteilt und aus der Armee entlassen. Er beteuert seine Unschuld, wird jedoch auf eine einsame Insel verbannt. Das Volk jubelt und die Militärelite atmet erleichtert auf. Major Georges Picquart (Jean Dujardin) wird danach sogar befördert. Er hatte sich aus Sicht der Regierung in der Dreyfus-Affäre bewährt und wird im Auslandsnachrichtendienst Abteilungsleiter. Dort fallen ihm jedoch gravierende Missstände und Missmanagement auf. Bei seinen Recherchen zum Fall Dreyfus stößt er auf ein Geflecht aus Lügen und Intrigen. Die Wahrheit war einigen Verantwortlichen egal – lieber glaubten sie Gerüchten, die ihre Hierarchien stärkten und ihr Weltbild bestätigten. Ein Jude als Sündenbock – das passte gut in die antisemitische Stimmung. Diesen historischen, auf wahren Begebenheiten basierenden Stoff inszeniert Polanski als ein mit seinem ruhigen Sog packendes Drama und spannenden Krimi. Denn die Aufarbeitung des Dreyfus-Falles ist kompliziert und riskant, auch weil Picquart auf viel Gegenwehr trifft. Vor allem aber wird so erst das juristische und politische Ausmaß der Affäre deutlich, die die Regierung in eine tiefe Krise stürzen wird.

„J’accuse“ steht schließlich auf der Titelseite einer Tageszeitung, genau so nennt Polanski seinen Film. Darin behandelt er ausschließlich die Dreyfus-Affäre, dennoch fragt man sich, ob der Regisseur damit auch eine persönliche Geschichte erzählen will. 1977 hatte er Sex mit einer 13-Jährigen und floh vor der Urteilsverkündung aus den USA. Das Opfer selbst setzte sich für die Einstellung des Verfahrens ein, doch die US-Justiz hielt daran fest, Polanski wurde sogar aus der Oscar-Akademie ausgeschlossen. Mit „Intrige“ beweist Polanski erneut, dass er zu den großen Filmemachern seiner Generation gehört: Die Ausstattung ist detailreich wie opulent und die Bilder so majestätisch eingefangen, dass sie auf großer Leinwand bestens zur Geltung kommen. Polanski nimmt sich Zeit für Rückblenden und eine akribische Aufarbeitung des Falls, ohne dabei langatmig zu werden. Keine Szene ist zu viel, kein Dialog zu lang. Stattdessen offenbart „Intrige“ ein von innen verrottetes System. Polanski zeigt, was passiert, wenn aus Gerüchten Fakten werden und man sich die Gegenseite gar nicht anhört.

Die Dreyfus-Affäre erschüttert Frankreich vor mehr als 100 Jahren und offenbart einen politischen Skandal von enormen Ausmaßen. Roman Polanski nimmt sich den Fall nun vor: Dabei werden auch Parallelen zur Gegenwart deutlich.