Opernhaus Stuttgart: Allein Bestandsschutz sichert den Betrieb Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Es tropft durch Decken, die Bühnentechnik ist marode – und Startänzerinnen drängen sich in der Umkleide: Die Missstände im Opernhaus Stuttgart sind unübersehbar. Die „Stuttgarter Nachrichten“ laden zur Diskussion über den Sanierungsfall – am 15. Dezember im Schauspielhaus Stuttgart.

Stuttgart - Seit fast 30 Jahren wird über die Sanierung des Opernhauses Stuttgart und die Erweiterung des Staatstheater-Areals debattiert. Jetzt wollen das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart die „Jahrhundertaufgabe“ (Ministerpräsident Winfried Kretschmann) angehen. Das je zur Hälfte von Stadt und Land getragene Projekt soll inklusive einer Ausweichspielstätte bis zu eine Milliarde Euro kosten. Im Frühjahr 2020 wollen Stuttgarts Gemeinderat und der Landtag Grundsatzbeschlüsse fassen.

Diskutieren Sie mit – am 15. Dezember um 11 Uhr

Was ist genau geplant? Welche Kritik gibt es? Die „Stuttgarter Nachrichten“ und das Staatstheater Stuttgart laden zur ersten öffentlichen Diskussion – am Sonntag, 15. Dezember, 11 Uhr im Schauspielhaus Stuttgart. Mit dabei: Kunstministerin Theresia Bauer, Stuttgarts OB Fritz Kuhn, Aufbruch Stuttgart-Lenker Wieland Backes und Wolfgang Riehle, Ehrenvorsitzender der Architektenkammer Baden-Württemberg. Sie können dabei sein. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist notwendig – unter www.stn.de/opernhaus.

Baustelle Opernhaus

Tamas Detrich gilt als ruhig und überlegt. Negatives hört man von dem 1959 in New York geborenen Intendanten des Stuttgarter Balletts im Grunde nie. Nun aber erlebt man einen anderen Tamas Detrich. „Schauen Sie sich das an“, sagt er, verzweifelt fast – „zwei Toiletten und nur ein Waschbecken in einer Umkleide für 15 Tänzerinnen, und nur eine kleine Duschkabine“. Das war schon so, als der Intendant noch Tänzer war, als er als Absolvent der Cranko Schule 1977 in die Kompanie kam. Es blieb so, als Detrich als Erster Solist mit eigener Geschmeidigkeit brillierte. Auch, als Tamas Detrich im (ebenfalls viel zu kleinen) Ballettsaal zum Ballettmeister wurde – und auch in den Jahren, in denen Detrich als Stellvertreter von Ballettintendant Reid Anderson wirkte, änderte sich nichts.

Die Realität lässt sich nicht weglächeln

Nun ist der Amerikaner mit ungarischen Wurzeln seit einem Jahr selbst für das weltbekannte Stuttgarter Ballett verantwortlich – und ringt um Fassung. „Wie kann das sein“, fragt er, „dass sich hier nichts ändert?“. Der Ton in der Frage bleibt bestimmt. Detrich hat zu lange zu viel gehört, um die Realität im Opernhaus Stuttgart weglächeln zu können. Der stolze Littmann-Bau von 1912 ist längst nur mehr Fassaden-Schein. „Wenn es regnet, stellen wir hier Eimer auf“, sagt Detrich auf dem Weg zum Korrepetitorenzimmer. Und der Ton verrät: Da ist keine Resignation, da ist eine ganz klare Erwartung: Die Aufgabe auch für die Politik, die internationale Anerkennung der Oper Stuttgart und die weltweite Spitzenposition des Stuttgarter Balletts verteidigen zu wollen.

Oper und Ballett „im globalen Wettbewerb“

„Wir stehen in einem globalen Wettbewerb“, sagt Detrich, „das muss allen bewusst sein“. Was er nicht sagt: Es geht um Musiktheater, es geht um Ballett und die Weiterentwicklung der Tanzsprachen. Aber es geht auch um Standorte. Um die Position auf der internationalen Bühnenkunst-Karte. Es geht für ihn darum, die besten jungen Tänzerinnen und Tänzer in Stuttgart zu wissen, es geht darum, auf der Grundlage technischer Brillanz mit dem Mut zum Experiment die Marke Stuttgarter Ballett in der ersten Reihe der Tanzwelt zu halten.

„Sofortiger Handlungsbedarf“ schon 2915

Was er jetzt zeigt, allen voran die unhaltbaren Zustände in der Umkleide von Tänzerinnen, die sich in ihrer relativ kurzen Laufbahn sehr genau überlegen, welche der Top-Kompanien die richtige ist, hat er ja schon so oft gezeigt. Und glaubte er sich nicht wie viele im Opernhaus 2015 schon am Ziel, als Nils Schmid als SPD-Finanz- und Wirtschaftsminister nach Rundgängen durch das marode Opernhaus „sofortigen Handlungsbedarf“ ausrief? Seinerzeit zu schrille Töne für den grünen Koalitionspartner und Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Es tropft durch die Decke

Vier Jahre später macht Nils Schmid in Berlin Politik, sitzt die SPD in Baden-Württemberg im Nirgendwo des Landtags – und tropft es im Opernhaus noch immer durch die Decke. Doch nun ist es Winfried Kretschmann, der die „Jahrhundertaufgabe“ angehen will, das Opernhaus Stuttgart von seinen Grundfesten an über die völlig veraltete Bühnentechnik bis hin zu einer in ihren Verbauungen kaum mehr zu durchschauende Dachebene grundlegend zu sanieren. Mehr noch aber: Auch fensterlose Kleinstzimmer in der Verwaltung und zugleich als Umkleide dienende (und nicht schallisolierte) Proberäume für die Musiker des Opern-Staatsorchesters soll es dann nicht mehr geben.

1400 Mitarbeiter wollen wissen, wie es weitergeht

Mit 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Staatstheater Stuttgart das größte Dreispartenhaus (Oper, Ballett und Schauspiel) Europas. 10 400 Quadratmeter Nutzfläche zusätzlich sind im künftigen Staatstheater-Areal vorgesehen, um den Platzbedarf zu decken und nutzungsgerechte Arbeitsplätze einzurichten.

Land und Stadt gegen einen Neubau

Ob diese aber auch in der erwarteten Anzahl kommen? Und ob sie alle am heutigen Standort kommen? Das ist ungewiss. „Positiv ist“, sagt Viktor Schoner, seit 2018 Intendant der Oper Stuttgart, „dass die Politik ein Ziel formuliert hat“. Dieses heißt: Nein zum Neubau eines Opernhauses, nein auch zum Neubau eines multifunktionalen Opern- und Konzerthauses. Dagegen: Ja zur Generalsanierung des Opernhauses und Ja zur Erweiterung des Staatstheater-Areals insgesamt um 10 400 Quadratmeter Nutzfläche. Ja auch zum Bau einer Ausweichspielstätte (mit Werkstätten und einem Bühnenraum für 1200 Zuschauer) in unmittelbarer Nachbarschaft des Wagenhallen-Areals.

Aufbruch Stuttgart will „Mehrwert für die Stadtgesellschaft“

Stadt und Land rechnen für das Gesamtpaket (bei hälftiger Lastenverteilung) mit Kosten von knapp einer Milliarde Euro. Zu viel, sagt Wieland Backes, Vorsitzender des Vorstands des Vereins Aufbruch Stuttgart – „zumindest, wenn man am Standort die Nutzungsmöglichkeiten nicht erweitert“. „Wir sind nicht gegen das Projekt“, sagt Backes, „aber es muss an diesem herausragenden Standort inmitten des Kulturquartiers ein Projekt sein, das Angebote an die ganze Bürgerschaft macht“.

Künstlerisch bleibt das Opernhaus unter Volldampf

Als eben dieses versteht Tamas Detrich die Premiere eines Ballettabends mit drei Uraufführungen – von Fabio Adorisio, Roman Novitzky und Andreas Heise – an diesem Samstag, 30. November, um 19 Uhr im Schauspielhaus. Einen Abend später hebt sich an diesem Sonntag, 1. Dezember, um 18 Uhr im Opernhaus der Vorhang zur Premiere der Mozart-Oper „Le nozze di Figaro“. Künstlerisch bleibt das Opernhaus, bleibt das Staatstheater unter Volldampf. Allabendlich aber wird auch weiter gezittert. Dass man die Technik, die zu gerne aussetzt, doch wieder überlisten kann. Oder einfach nur, dass es trocken bleibt.

So können Sie dabei sein

Am 15. Dezember laden die „Stuttgarter Nachrichten“ und das Staatstheater Stuttgart zur Diskussion über die „Chance Opernhaus?!“. Im Schauspielhaus Stuttgart auf der Bühne: Baden-Württembergs Kunstministerin Theresia Bauer, Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, sowie Wolfgang Riehle, Ehrenpräsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, Wieland Backes, Vorsitzender des Vorstands des Vereins Aufbruch Stuttgart, Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgart, und weitere Gäste. Beginn ist um 11 Uhr. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist notwendig – unter www.stn.de/opernhaus .

„Mittendrin“-Debatte zum Kulturquartier

Sie wollen mehr zum Stichwort Kulturquartier Stuttgart erfahren? Sie wollen mitdiskutieren, wie aus der Vielzahl hochkarätiger Kultureinrichtungen eine für das Zentrum der Metropolregion gültige Identität entwickelt werden kann? „Chance Kulturquartier?!“ ist der Titel der „Mittendrin“-Veranstaltung der „Stuttgarter Nachrichten“ am Montag, 2. Dezember 19 Uhr im Haus der Katholischen Kirche (Königstraße 7).

Unsere Gäste: Petra Olschowski (Staatssekretärin Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst), Ulrich Wegenast (Geschäftsführer Programm, Film- & Medienfestival gGmbH), Ulrike Groos (Direktorin Kunstmuseum Stuttgart), Sven Hahn (Geschäftsführer City Initiative Stuttgart) und Marc-Oliver Hendriks (Geschäftsführender Intendant Staatstheater Stuttgart). Zudem Armin Dellnitz, Geschäftsführer Stuttgart Marketing. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung notwendig – www.stn.de/kulturquartier.