Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Foto: AFP/HANNIBAL HANSCHKE

Die Antrittsbesuche in Paris und Brüssel waren für Kanzler Scholz noch unkompliziert. Seine Reise nach Warschau wird da schon schwieriger. Der Ampel-Koalitionsvertrag hat dort im Regierungslager Abwehrreaktionen ausgelöst.

Berlin/Warschau - Nach seinen ersten Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel reist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag nach Polen. In Warschau wird er von Regierungschef Mateusz Morawiecki mit militärischen Ehren empfangen. In dem anschließenden Gespräch dürfte es auch um schwierige Themen gehen. Scholz will den Streit zwischen Polen und der EU über Fragen der Rechtsstaatlichkeit ansprechen, wie er am Samstag in einem ARD-Interview sagte. Er betonte aber, dass es ihm vor allem um einen „Freundschaftsbesuch bei einer befreundeten Nation“ gehe.

Der Kanzler hatte am Freitag zwei Tage nach seiner Vereidigung zuerst Paris und dann Brüssel besucht. Frankreich ist traditionell das erste Reiseziel neuer Kanzler und Kanzlerinnen. Polen steht als zweitgrößtes Nachbarland Deutschlands bei der Planung von Antrittsbesuchen aber auch immer ganz weit oben auf der Liste.

Auf der Suche nach „gemeinsamer Perspektive für die Zukunft“

Am Freitag war bereits die neue Außenministerin Annalena Baerbock in Warschau. Auch sie sprach dabei das Thema Rechtsstaatlichkeit in der EU an und betonte, sie setze auf eine gemeinschaftliche Verhandlungslösung mit Polen. Scholz äußerte sich ähnlich: Es gebe Fragen, die unterschiedlich bewertet werden, man suche aber eine „gemeinsame Perspektive für die Zukunft“.

Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um und liegt darüber im Streit mit der EU-Kommission. Kritiker werfen Warschau vor, Richter unter Druck zu setzen. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet und Klagen beim EuGH eingereicht.

Wichtiges Thema ist die Rechtsstaatlichkeit

Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie sich für eine EU einsetzen wollen, „die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt“. Auch ist von der Weiterentwicklung der EU zu einem „föderalen europäischen Bundesstaat“ die Rede. Beides war im Lager der Regierungspartei PiS auf heftige Abwehrreaktionen gestoßen. Führende PiS-Vertreter unterstellten der neuen Bundesregierung, sie wolle aus der EU ein „Viertes Reich“ machen.

Polens Regierung hat zuletzt auch erneut ihre Forderung nach Entschädigung von Deutschland für die Schäden des Zweiten Weltkriegs unterstrichen. „Wir erwarten von der neuen deutschen Regierung die Bereitschaft, sich dieser Verantwortung zu stellen, auch in der Form von Gesprächen über Rekompensationen und Wiedergutmachung“, sagte Außenminister Zbigniew Rau am Freitag nach seinem Gespräch mit Baerbock. Dies betreffe etwa eine Entschädigung für polnische Kulturdenkmäler, Kunstwerke, Archive und Bibliotheken.

Situation der Flüchtlinge in Belarus an der Grenze zu Polen

Für die Bundesregierung ist das Thema Reparationen rechtlich und politisch abgeschlossen. Sie beruft sich vor allem auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990.

Bei dem Besuch dürfte es auch um die Situation der Flüchtlinge in Belarus an der Grenze zu Polen zu Beginn des Winters gehen. Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, sie gezielt an die Grenze geschleust zu haben. Scholz sprach in der ARD von „menschenverachtender Politik“. Er betonte, dass Flüchtlingsorganisationen die Möglichkeit gegeben werde müsse, Hilfe zu leisten.

Auch der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze dürfte Thema sein. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob ein Stopp der Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu den möglichen Sanktionen gegen Russland bei einer Eskalation der Lage zählen könnte. Scholz hat sich dazu noch nicht klar positioniert. Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hat die Pipeline im Wahlkampf klar abgelehnt. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte sie auf, das nun auch als Ministerin klar zu wiederholen. „Es ist unvorstellbar, dass Nord Stream 2 ans Netz gehen kann, sollte Russland die Ukraine wirklich angreifen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Röttgen bewirbt sich für das Amt des CDU-Chefs.

Das steht sonst noch auf der Agenda

Zum Abschluss seines Besuchs in Warschau wird Scholz einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten, Polens zentraler Gedenkstätte, niederlegen. Es ist nicht das Denkmal, vor dem der damalige SPD-Kanzler Willy Brandt 1970 in Warschau auf die Knie fiel. Das ist den Toten des Warschauer Ghettos gewidmet. Der Kniefall gilt als eine der stärksten Versöhnungsgesten der Nachkriegszeit zwischen Deutschland und seinen Nachbarn. Die Bilder davon gingen damals um die Welt.

Der deutsche Überfall auf Polen 1939 war der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit mindestens 55 Millionen Toten - andere Schätzungen gehen von 80 Millionen aus. Allein in Polen kamen nach Schätzungen bis zu sechs Millionen Menschen ums Leben.