Wie schlägt sich die Tourismusbranche in diesem Sommer mit den verordneten Abstandsregeln? Foto: dpa/Jesus Merida

Die Tourismus-Industrie kämpft EU-weit ums Überleben. 70 Prozent der Unternehmen rechnen mit Umsatzverlusten von mehr als 50 Prozent. Die Hälfte der Deutschen will dieses Jahr gar nicht wegfahren.

Brüssel - Selbst wenn Mitte Juni europaweit das Reisen wieder erlaubt wird: Es zeichnet sich schon ab, dass die europäische Tourismusindustrie zu den am härtesten von der Pandemie getroffenen Branchen zählt. Die Frühlingssaison von März bis Juni, in die in normalen Jahren ein Drittel aller 2,8 Milliarden Übernachtungen im Jahr in der EU fallen, dürfte nahezu komplett ausfallen. Allein die deutsche Tourismusindustrie rechnet bis Mitte Juni mit Umsatzeinbußen von 10,8 Milliarden Euro.

Die Vorzeichen für den Sommer sind düster: Nach einer Infratest-Dimap-Umfrage, die am 18. und 19. Mai durchgeführt wurde, will die Hälfte der Deutschen dieses Jahr gar nicht verreisen. Ein Drittel plant Urlaub in Deutschland, nur 19 Prozent wollen ins europäische Ausland. Fernreisen außerhalb der EU sind mit drei Prozent so gut wie tabu. 2019 sah das noch ganz anders aus: Da sind 27 Prozent der Deutschen gar nicht verreist, 30 Prozent haben Urlaub in Deutschland gemacht. Aber: 40 Prozent waren in der EU unterwegs, und zehn Prozent zog es ins außereuropäische Ausland. Es deutet sich zudem an, dass das Portemonnaie nicht so gut gefüllt sein wird: Ein Drittel der Befragten gab an, mit weniger Ausgaben im Urlaub zu planen als im Vorjahr. Laut Branchenverband DIHK rechneten mehr als 70 Prozent der Unternehmen in der Reisebranche bei einer Umfrage Ende März mit Umsatzeinbußen von mehr als 50 Prozent in diesem Jahr.

Spanien erzielt 4750 Dollar pro Kopf

Die EU-Länder werden durch die Einschränkungen des Tourismus unterschiedlich stark getroffen. Am anfälligsten ist laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Spanien, wo der Tourismus 2018 pro Kopf 4750 Dollar (4206 Euro) zur Wirtschaftsleistung des Landes beitrug. Danach folgt Österreich mit 3600 Dollar je Kopf, Frankreich mit 3300 Dollar sowie Irland mit einem Beitrag von über 3000 Dollar. Italien, eines der beliebtesten Länder der Deutschen, beschert der Tourismus in normalen Zeiten einen Wohlstandsgewinn von 2500 Dollar im Jahr. In Deutschland liegt dieser Wert bei 2000 Dollar.

Klar ist, dass diese Werte dieses Jahr verfehlt werden. Im letzten Jahr verreisten die Europäer zwischen März und Juni allein 400 Millionen Mal und gaben dabei 170 Milliarden Euro aus. Am meisten getroffen dürfte Deutschland sein. Das Land war zwischen März und Juni 2019 Ziel von 104 Millionen Reisen, 60 Prozent davon entfielen auf Inlandstourismus. Die deutsche Tourismusindustrie macht 40 Prozent ihres Jahresumsatzes in den Frühlingsmonaten.

Zur nahezu komplett ausgefallenen Frühlingssaison kommen nun die Geschäftseinbußen in der Hochsaison infolge der Abstandsregeln. Am Strand von Ostende etwa, dem beliebtesten Strandbad Belgiens, tummeln sich in normalen Zeiten an Spitzentagen bis zu 40 000 Badegäste, Corona-bedingt sollen es in diesem Sommer höchstens 8000 werden.

Im Sommer 2019 915 Millionen Übernachtungen

In einem normalen Sommer werden allein in den Monaten Juli und August EU-weit 915 Millionen Übernachtungen registriert. Am heftigsten ist Kroatien wirtschaftlich auf den Sommertourismus angewiesen. In den Monaten Juli und August finden dort 58 Prozent aller Übernachtungen in einem Jahr statt. In Bulgarien liegt dieser Wert bei 46 Prozent, in Griechenland bei 42 Prozent. In Deutschland finden in den beiden Sommermonaten dagegen nur 24 Prozent der Übernachtungen eines normalen Touristenjahres statt. Im letzten Sommer gaben 1,9 Milliarden Urlauber in Europa 138 Milliarden Euro aus. In den Monaten Juli und August erzielt die Tourismus-Industrie Griechenlands 50 Prozent ihrer Jahreseinnahmen. In Bulgarien sind es 39 und in Italien 38 Prozent.

Übrigens: Im letzten Sommer waren die Deutschen nicht die Europameister im Reisen. Laut EU-Statistikbehörde Eurostat waren das die Franzosen, die 53 Millionen Reisen unternahmen, 40 Millionen davon im eigenen Land. 48 Millionen Deutsche verreisten, darunter 25 Millionen in Deutschland. Auf Platz drei landeten die Spanier mit 39 Millionen Reisen, davon gingen 34 Millionen ins eigene Land.

Im Sommer verreisen die Europäer länger als im Frühjahr. Im Schnitt dauert jede ihrer Reise in den Monaten Juli und August 7,1 Tage. Im Frühjahr verreisen sie dagegen statistisch gesehen lediglich für 4,6 Nächte.