Die Explosion hat in Beirut heftige Spuren hinterlassen. Foto: (z)

Nach dem verheerenden Explosionsunglück am 4. August organisiert Obertürkheims Pfarrerin Friedericke Weltzien eine Spendenaktion für die evangelische Gemeinde in Beirut.

Obertürkheim - Eigentlich wäre Friederike Weltzien jetzt in Beirut. Zweimal im Jahr kehrt Obertürkheims Pfarrerin in die libanesische Hauptstadt zurück, in der sie aufgewachsen ist und in der sie bis 2008 die evangelische Gemeinde leitete. Für die ausgebildete Psychotherapeutin sind die Besuche kein Urlaub. Sie bildet Psychologen und Sozialarbeiter, die auch in palästinensischen Flüchtlingscamps arbeiten, in Traumatherapie fort. Seit 4. August ist dies dringender denn je.

An dem Tag zerstörte die Explosion von rund 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, das in einer Halle im Hafen gelagert war, große Teile der Millionenstadt. Die Bilder der Detonation und der zerstörten Häuser gingen um die Welt, beherrschten zwei Tage lang die Nachrichten. Und heute, zehn Wochen danach? „Die Trümmer auf den Straßen sind dank des beherzten Einsatzes der libanesischen Jugend beseitigt, die Straßen wieder befahrbar“, erzählt Weltzien, die über Konferenzen regelmäßig Kontakt zu Freunden hält. „Die Libanesen sind es gewohnt, improvisieren zu müssen und flexibel zu sein. Viele Gebäude sind aber noch unbewohnbar. Menschen leben im Freien.“ Das Unglück habe den libanesischen Staat in seinen Grundfesten erschüttert. Die wirtschaftliche Situation, die vor der Explosion schon verheerend gewesen sei, habe sich dramatisch verschlechtert. Medikamente seien Mangelware, oft nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Dem Staat fehlen Devisen. Immer wieder werde der Strom gesperrt, Trinkwasser ist knapp, zudem gibt es viele Corona-Infizierte. Die noch intakten Krankenhäuser sind überfüllt.

Vereinzelt würden sich zudem weitere Explosionen ereignen und es komme zu Brandstiftungen in den zerstörten Häusern, berichten die Beiruter Freunde. Die Situation ist instabil, viele unterschiedliche Gruppierungen wollen Profit aus dem Durcheinander schlagen, die nervliche Anspannung der Bevölkerung ist extrem hoch. Über das Internet versucht die Theologin aus Obertürkheim, den Freunden in Beirut psychologisch beizustehen, sie aufzubauen und über Spendenaktionen Brücken von Deutschland nach Beirut zu schlagen.

„Im August war die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung groß. Ich habe etliche Anrufe, Hilfsangebote und Unterstützung erhalten. Mittlerweile ebbe das Interesse ab. Dabei würde jeder Euro helfen“, sagt Weltzien. Denn trotz enormem Organisationsaufwand der Beiruter Gemeindeverwaltung komme das Geld ohne Abzug von Verwaltungskosten den Hilfsbedürftigen zugute. Mitglieder des deutschen Freundeskreises bringen die Spenden – in Dollar und Euro – persönlich in die Kirchengemeinde. „In den ersten Tagen unterstützten wir damit Geschädigte aus dem Umfeld der Gemeinde. Mit dem Geld konnten sie Glas für ihre Fenster erwerben oder Teller, Tassen und Töpfe ersetzen, die zerstört wurden“, schreibt Pfarrer Jürgen Henning aus Beirut an die Spender. Knapp 10 000 Euro gingen zudem an zerstörte Altersheime, Behinderteneinrichtungen und Schulen beispielsweise zur Anschaffung von Schultaschen. „Und manchmal ist solche Unterstützung auch Friedensarbeit“, schreibt Henning. Denn die Beiruter unterstützen junge Palästinenser, die kostenlos Wohnungen Geschädigter renovieren, und sie halten die die Schule für syrische Flüchtlingskinder in Naame am Laufen. Damit schließt sich der Kreis zu Pfarrerin Weltzien. Denn in Obertürkheim engagiert sie sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe vor Ort, baute das Willkommenscafé auf und wird sich „baldmöglichst“ wieder ins Flugzeug nach Beirut setzen. „Denn der Bedarf an Traumatherapie ist groß und gerne überbringe ich dann auch persönlich Spendengelder an die Beiruter Gemeinde.“