Karl Geiger war vor Wochen noch im Formtief, nun hat er zwei WM-Medaillen. Foto: AFP/Christof Stache

Karl Geiger hat sich aus dem Formtief gekämpft und bereits zwei Medaillen bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf geholt. Diese Geschichte soll das deutsche Team nun beflügeln.

Oberstdorf - Was hat Karl Geiger nicht alles preisgegeben vor dieser Heim-WM. Er erfüllte den Wunsch der Medien, seine vier Lieblingsplätze in seinem Heimatort Oberstdorf zu beschreiben. Er plauderte in einem Interview gemeinsam mit Kumpel Markus Eisenbichler über das Zusammenleben im Doppelzimmer. Seine Eltern empfingen die Lokalzeitung in der heimischen Kaminstube. Und er selbst erzählte derweil, wie er als Zwölfjähriger bei der Eröffnungsfeier der WM 2005 die Flagge Kasachstans ins Skisprungstadion getragen hat. Alles gute Geschichten, und doch hat sich die beste, emotionalste und bewegendste erst an diesem Wochenende zugetragen – als Karl Geiger seine Heim-WM im Einzel von der Normalschanze versilberte und anschließend zusammen mit Eisenbichler, Katharina Althaus und Anna Rupprecht im Mixed-Team vergoldete. „Es ist unglaublich“, jubelte der Lokalmatador. „Ich bin wirklich stolz.“ Und das war nicht nur einfach so dahingesagt.

Geiger, der studierte Energie- und Umwelttechniker, gilt im deutschen Team als Analytiker. Als einer, der eher vom Kopf als vom Bauch gesteuert wird, der jeden seiner Sprünge seziert. Eisenbichler nennt ihn den „Denker“. Meist ist das eine Stärke des Oberstdorfers, es kann aber auch zum Problem werden – in schwierigen Zeiten. Denn dann wird Geiger zum Grübler.

Unerklärliches Leistungsloch im Februar

Der 28-Jährige hat enorm viel erlebt in diesem Winter. Im Dezember feierte er die Geburt seiner Tochter Luisa, Gold und Silber bei der Skiflug-WM, den Sieg beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee. Zwischendurch musste er allerdings eine Corona-Infektion samt zehntägiger Quarantäne überstehen, danach den geplatzten Traum vom Tournee-Gesamtsieg verkraften. Und dann fiel er im Februar in ein unerklärliches Leistungsloch, verpasste im Weltcup zweimal den zweiten Durchgang, wirkte angeschlagen und verzweifelt. Das ist selbst für einen Skispringer, der Höhen und Tiefen gewohnt ist, ziemlich heftig.

Und trotzdem ist Geiger nun, wenn es zählt, wieder in Topform. Am Ende der Saison könnte er mehr WM-Medaillen als Podestplätze im Weltcup gesammelt haben. Entsprechend euphorisch äußern sich die Kollegen über Geiger. „Karl, du Maschine!“, schrieb ihm Ex-Weltmeister Severin Freund, Olympiasieger Andreas Wellinger nannte ihn eine „geile Sau“, und Markus Eisenbichler meinte nur: „Karl ist einfach ein Fuchs.“ Leitwolf wäre auch eine passende Umschreibung gewesen.

Erfolge machen locker

Bevor Geiger am Samstagabend Silber von der Normalschanze holte, hatten die Deutschen eine ziemlich glanzlose Weltmeisterschaft erlebt. Die Teams im Langlauf und in der Kombination sowie die Skispringerinnen waren nicht nur komplett leer ausgegangen, sondern zum Teil auch weit hinter den Erwartungen geblieben. Dann ging Karl Geiger voran. Er nahm allen anderen ein bisschen den Druck, und er zeigte ihnen zugleich, was möglich ist. „Wenn ein Skispringer wie er, der einen langen Leidensweg hinter sich hat, eine Medaille macht, dann motiviert das“, sagte Langlauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder. „Das zeigt: Hey, es lohnt sich. Hartnäckigkeit zahlt sich aus!“ Und Erfolg macht auch noch locker.

Lesen Sie hier: Wie Skispringerinnen um Gleichberechtigung kämpfen

Karl Geiger jedenfalls kann nun ganz entspannt auf die Großschanze wechseln, am Freitag (Einzel, 17 Uhr) und Samstag (Team, 17 Uhr/beide im ZDF) sind zwei weitere Medaillen möglich. Aber kein Muss. Anschließend wird er sein persönliches WM-Fazit ziehen. Und aufschreiben. In seinem Notizbuch, in dem er Tag für Tag Ereignisse und Gedanken festhält – auch, um Orientierung für Zeiten zu haben, in denen es weniger gut läuft. Es sei ihm wichtig, nachlesen zu können, „wie ich mich mal aus der Scheiße rausgeholt habe“. Wie genau? Das wollte Karl Geiger dann doch nicht preisgeben.