Die Welt von Daniel Benyamin war schon vor Corona nicht in Ordnung. Aber er sucht einen Weg, sie wieder ein wenig in Ordnung zu bringen. Foto: privat

Daniel Benyamin hat eine schwere Zeit hinter sich. Erst zerbricht sein erfolgreiches Projekt Sea+Air, dann muss er wegen Corona 50 Konzerte absagen. In dieser Krise sucht der Nürtinger Musiker nach neuen Wegen – und veröffentlicht mit „Solitarity“ eine sehr besondere Platte.

Berlin - Ja, die Coronakrise trifft alle Künstler hart. Diese Geschichte ist oft erzählt worden im letzten halben Jahr. Auch für Daniel Benyamin ist nach dem Virus nichts mehr wie davor, und doch ist sein Weg ein besonderer. Corona zwang auch ihn zu etwas Neuem. Was das sein würde, bestimmte der Nürtinger Musiker aber selber.

Es war ja auch davor nicht alles in bester Ordnung. Seine Band Sea + Air, einst gegründet mit seiner Ehefrau Eleni Zafiriadou und musikalisches wie finanzielles Rückgrat, ist nicht mehr. Die beiden haben das Ende nie bekannt gegeben, gehen aber musikalisch schon länger getrennte Wege. Ein neues Soloalbum hatte Daniel Benyamin geplant, gut fünfzig Konzerte dazu. Dann kamen das Virus und die Absagen.

„Im März wurden plötzliche Gefühle Mainstream, von denen ich bislang dachte, ich hätte sie für mich allein“, erinnert sich Daniel Benyamin und zählt auf: „Isolation, Alleinsein, Unsicherheit ... nicht verstehen, was los ist, weil plötzlich ganze Branchen erodieren“. Aber Krisen, ob persönliche oder nicht, sind immer auch Chancen. Das gilt für Musiker seit jeher ganz besonders. Und so machte sich Daniel Benyamin eben an ein anderes Album – eines, das seine Gefühle, die jetzt die Gefühle von ganz vielen waren, festhält. „Solitarity“ heißt es, ein Kofferwort aus den englischen Begriffen für Solidarität und Einsamkeit.

Ein Sommerliebeslied, spielerisch hingeworfen

Von April bis Juni sperrte Benyamin sich in seinen mit Instrumenten vollgestopften, coronabedingt aber verwaisten Berliner Proberaum ein, der nun eben sein Studio sein sollte. Und spielte, weil Multiinstrumentalist, sein Album ein. Die Songs habe er teils neu geschrieben, teils schon im Teenageralter, erzählt der Musiker. Ein Gespür für gute Melodien hat er offenbar schon immer gehabt. „Every Night I Fall Asleep With Your Smile On My Face“ zum Beispiel ist ein scheinbar spielerisch hingeworfenes Sommerliebeslied: „I never wanted you to be perfect / I was just glad you were around“, singt Benyamin. Es mag einmal schwer gefallen sein, jetzt hört es sich irgendwie leicht an.

Aufgenommen hat Daniel Benyamin auf einem Mehrspur-Kassettenrecorder, das prägt den Sound ebenso wie die Atmosphäre der nächtlichen Sessions. Nein, das ist kein glänzend hinproduziertes Album. Aber es ist mit Liebe zum Detail abgemischt und ausarrangiert, eben stimmig.

Das ist nix für Spotify

Gute Künstler ziehen aus Krisen nicht nur Inspiration, sondern schauen mit ihrer Kunst in die Zukunft. Fast schon visionär ist die Art und Weise, wie das Album entstanden ist und wie es „verwertet“ wird. Es gibt 500 Stück davon, das Cover und ein beigefügtes Poster ließ Daniel Benyamin von befreundeten Künstlern gestalten und von Hand drucken. Das Werbebudget liegt bei Null, eine Pressemitteilung wurde nicht verschickt. „Das ist eine Platte für Menschen, die sich wirklich für meine Musik interessieren“, sagt Benyamin.

Auf Spotify wird man dieses Manufakturalbum nicht finden. „Das Geschäftsmodell von Streamingplattformen ist unfair für Musiker und viele Hörer verstehen das nicht“, sagt Benyamin. Klar sei Streaming ein tolles Angebot. „Aber Alben wie OK Computer von Radiohead oder Sgt Pepper von den Beatles würden heute keine breite Masse mehr erreichen, weil man sich nach maximal drei Songs eine Meinung gebildet hat.“

Ein Schritt zurück, zwei Schritte vor

Daran will Daniel Benyamin sich natürlich nicht messen. Aber sein Ansatz schaut doch nach vorn. Schließlich ist die ganze Musikbranche – die Veranstaltungswirtschaft eingeschlossen – von Corona so hart getroffen, dass im Zweifelsfall die bekannten Künstler Vorrang haben werden. Ihre Tourneen wird man als Erstes planen, ihre Musik viel eher bewerben – weil man damit schlicht besseres Geld verdient. Wer nicht zu diesem elitären Kreis zählt, kann sich nur selbst helfen. So wie Daniel Benyamin und seine Freunde, die für das Album im Direktvertrieb stolze 50 Euro aufrufen. Dafür ist eben alles handgemacht, das Hörvergnügen exklusiv – und fünf Euro je Platte gehen an die Initiative „Stand by me Lesvos“, die den Menschen im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos hilft, sich selbst zu helfen. Es wäre durchaus begrüßenswert, wenn so etwas künftig häufiger „eingepreist“ wird.

Ein Schritt zurück, zwei Schritte vor: das könnte Daniel Benyamins Weg sein, mit der Krise zurechtzukommen. Seine Hoffnung: dass man als Musiker auch dann überleben kann, wenn das, was man einst „Musikbusiness“ genannt hat, quasi verschwunden ist. Aufgeschoben ist außerdem nicht aufgehoben: Das Album, das Daniel Benyamin dieses Jahr eigentlich veröffentlichen wollte, folgt eben nächstes Jahr: eine Neuerfindung, kündigt der Musiker an. Es wäre nicht seine erste.

Daniel Benyamins Album kann auf der Website des Künstlers bestellt werden.