Stuttgart hat nun eine Heinrich-Heine Höhe. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Eine Aussichtsplattform bei der Villa Reitzenstein heißt jetzt nach dem berühmten Dichter. Früher trug die ganze Straße seinen Namen.

Stuttgart - Heinrich-Heine-Höhe, Richard-Wagner-Straße 28, 70184 Stuttgart - diese neue Stuttgarter Adresse hat das Zeug, Kopfschütteln und Diskussionen auszulösen, die Aufmerksamkeit zumindest von geschichtsbewussten Menschen ist ihr jedenfalls sicher. Wie konnte es nur passieren, dass der von den Nationalsozialisten rigoros zensierte und aus dem öffentlichen Leben verbannte jüdische Dichter und Journalist jetzt in Stuttgart in einem Atemzug ausgerechnet mit dem Antisemiten Richard Wagner genannt werden muss?

Heine war schon zu Lebzeiten als Jude angefeindet worden

Die Geschichte ist verzwickt. Die Richard-Wagner-Straße, an der bekanntlich auch die Villa Reitzenstein, also der Sitz des Ministerpräsidenten liegt, hieß nicht immer so. Früher war die Aussichtsstraße mit ihren prachtvollen Villen nach Heinrich Heine benannt, war also die Heinrich-Heine-Straße. Das ist auch einem kleinen Zusatzschild am Albrecht-Goes-Platz zu entnehmen, inklusive der Jahreszahl der Umbenennung: 1933.

Heine, der 1856 im Exil in Paris starb, war schon zu Lebzeiten als Jude angefeindet und zensiert worden. Später aber war er beliebt und bekannt, Straßen wurden nach ihm benannt, Denkmäler aufgestellt. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dichter und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Aber: „Keinen anderen Dichter traf die Zensur des Dritten Reiches so schwer und nachhaltig”, heißt es auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung. “Die Nationalsozialisten ließen Heines Bücher verbrennen und seine Denkmäler entfernen …”. Und in Stuttgart wurde die Heinrich-Heine-Straße nach einem den Nationalsozialisten genehmeren Künstler und bekennenden Antisemiten, eben Richard Wagner, benannt.

Die Plattform hatte keinen Namen

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die Alliierten, viele dieser Straßenbenennungen wieder rückgängig zu machen. Dabei wurden sie auch in Stuttgart aktiv, beispielsweise in Degerloch. Dort war die Straße vom Albplatz hinunter zum Waldfriedhof nach einem U-Boot-Kommandanten aus dem Ersten Weltkrieg benannt was den Alliierten aber nicht gefiel. Deswegen heißt die Straße seit 1946 Heinestraße. Und weil es in jeder Stadt einen Straßennamen nur einmal geben soll, durfte Richard Wagner auf der Halbhöhe der Gänsheide verewigt bleiben.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann als belesenem, gebildetem und geschichtsbewusstem Menschen gefiel das überhaupt nicht und er suchte nach einer Lösung für Heinrich Heine. Richard Wagner konnte er an seinem Amtssitz nicht so einfach los werden – mit einer Umbenennung hätten alle betroffenen Anwohner einverstanden sein müssen, der Aufwand und die Kosten wären beträchtlich gewesen. Aber da gab es ja noch die Aussichtsplattform mit Blick über den Stuttgarter Kessel gleich gegenüber dem Park der Villa Reitzenstein. Offiziell hatte diese Plattform keinen Namen. Wenigstens ein bisschen offiziell hieß sie aber “Grünanlage Wieland-Wagner-Höhe”, wie lange Zeit ein von der Landeshauptstadt aufgestelltes Schild verkündete. Auch auf Google Maps ist das so zu finden, nicht aber auf den offiziellen Plänen der Stadt.

Vorschlag des Ministerpräsidenten schon vor einem Jahr

Schon vor gut einem Jahr schlug der Ministerpräsident also vor, diese Aussichtsstelle der Familie Wagner – Wieland Wagner war der Enkel von Richard Wagner – wegzunehmen und in Heinrich-Heine-Höhe umzubenennen. Das gefiel zwar nicht allen in der Stadt, manche wollten lieber die ganze Straße Heine zurückgeben. Aber am Mittwoch war es so weit: Winfried Kretschmann, Oberbürgermeister Frank Nopper und die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), Barbara Traub, weihten die neue Heinrich-Heine-Höhe offiziell ein. Anlass ist das aktuelle Jubiläumsjahr „1700 Jahre Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland“. Barbara Traub erzählte dabei von ihrem ersten Brief ans Staatsministerium vor etlichen Jahren und wie befremdet sie war, als sie die Adresse Richard-Wagner-Straße auf den Umschlag schreiben musste. Vor einem Jahr, als sie das erste Mal von einer geplanten Umbenennung hörte, habe sie gehofft, bald eine neue Adresse schreiben zu können.

Die Ernüchterung folgte - aber Traub äußerte auch ihr Verständnis für die „verwaltungstechnischen Gründe”, die einen neuen alten Straßennamen verhinderten. So stehe diese Straße als mahnendes Zeichen dafür, wie tief die Nationalsozialisten in das Leben der Menschen und in das Kulturleben eingegriffen hätten. Die Benennung der Aussichtsstelle nach Heinrich Heine, genau dort, wo der Blick sich weite über die Stadt, solle als Anstoß zum bewussten Reflektieren des geschehenen Unrechts genommen werden.

OB will sich um mehr Zusatzschilder kümmern

Jetzt muss die Landeshauptstadt es nur noch schaffen, die Wieland-Wagner-Höhe in Google Maps dauerhaft durch die Heinrich-Heine-Höhe zu ersetzen. Vielleicht gibt es auch schon bald ein paar mehr Zusatzschilder entlang der Straße, die auf die wahre Geschichte des Straßennamens hinweisen, der OB will sich darum kümmern. Und wenn dann noch die Büsche und Sträucher unterhalb der Aussichtsplattform ein bisschen zurückgeschnitten werden, können sich der Blick und damit vielleicht auch der Geist wirklich bald ganz im Heineschen Sinne über die Stadt öffnen.