Nilgänse sind vielerorts zur Plage für Mensch und Tier geworden. Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Wie geht man mit tierischen Eindringlingen in die heimische Fauna um? Managen oder Erlegen sind die Optionen. Das Agrarministerium will die Gangart gegen invasive Arten verschärfen.

Heidelberg - Sie beschmutzen Liegewiesen und verscheuchen Schwäne, vertilgen Wintergetreide und verkoten Schwimmbäder - Nilgänse sind vielerorts zur Plage für Mensch und Tier geworden. Der Heidelberger Kreisjägermeister Heinz Kaltschmidt kann ein Lied davon singen. Sogar auf dem Turm der Heidelberger Heiliggeistkirche hätten die Vögel die Wanderfalken vertrieben und seien nur mittels lärmauslösender Sensoren davon abzuhalten gewesen, sich dort dauerhaft einzunisten. Er habe in der Jagdsaison 35 bis 40 davon erlegt, einige mehr als zuvor. „Die einheimischen Tierarten werden immer mehr verdrängt, die biologische Vielfalt leidet“, sagt Kaltschmidt. Und der Klimawandel mache es den nicht-heimischen Spezies einfacher, den Winter hier zu überleben.

Nach Angaben des Landesjagdverbandes wurden im Jagdjahr 2018/19 (Beginn März) rund 1300 Nilgänse oder ein Drittel mehr als im Jahr zuvor erlegt. „Und die Zahl wird noch mal stärker ansteigen“, sagt Geschäftsführer Erhard Jauch, dessen Verband 33 500 Jäger lm Südwesten vertritt.

Jagdzeiten werden verlängert

Dieser Entwicklung will jetzt auch das Landwirtschaftsministerium Rechnung tragen. In der geplanten neuen Durchführungsverordnung (DVO) des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes Baden-Württemberg sagt das Agrarministerium den invasiven Arten wie Nilgans und Co. den Kampf an. Zu den Eindringlingen gehören auch der Waschbär, die Nutria, der Marderhund und der Mink. Die Anhörung der Verbände zu den Neuerungen ist abgeschlossen, ihre Statements werden ausgewertet und wo es sinnvoll erscheint eingearbeitet, wie ein Sprecher von Ressort-Chef Peter Hauk (CDU) erläutert.

In der vorgesehenen Novelle der DVO , die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden die Jagdzeiten für invasive Arten deutlich verlängert - für die Nilgans um zwei Monate. Sie soll vom 1. August bis zum 15. Februar gejagt werden dürfen. Das gilt auch für die weit verbreitete, aber weniger angriffslustige Kanadagans. Die aus Afrika stammende Nilgans ist bereits auf einer EU-Liste der Arten, die die Länder dazu anhält, deren Ausbreitung einzudämmen. Das Federvieh, das sich seit den 1980er Jahren ausgehend von ausgesetzten und entflogenen Tieren aus den Niederlanden rasant ausbreitet, fühlt sich am nördlichen Oberrhein zwischen Karlsruhe und Mannheim besonders wohl.

„Merkwürdig, dass die aggressivste Art verschont bleiben soll“

Überdies dürfen laut geplanter DVO anders als bisher Jungtiere unter anderem der Nilgans, der Nutria, des Marderhunds und des Waschbärs ganzjährig außerhalb der allgemeinen Schonzeit vom 16. Februar bis 15. April gejagt werden. Die Jäger befürworten das, finden aber eine andere Regelung nicht ausreichend: Grau- und der Kanadagans sollen auch in der Schonzeit in bestimmten Vogelschutzgebieten gejagt werden dürfen. Dazu zählt auch der Zugriff auf ihre Eier, Nester und Lebensräume. Jägervertreter Jauch: „Unter diese Regel müssten auch die Nilgänse fallen, merkwürdig, dass die aggressivste Art verschont bleiben soll.“.

Der NABU Deutschland verschließt zwar nicht die Augen vor den Problemen, die Nilgänse verursachen, sieht aber noch keine andere Art durch sie in ihrem Bestand gefährdet. Die Nilgans fällt aus NABU-Sicht unter das Naturschutz- und nicht das Jagdrecht. „Die Jagd hat immer das Töten zum Zweck des Verzehrs als Ziel, doch die Nilgänse brauchen eher das Wildtiermanagement“, sagt NABU-Wildtierexperte Rolf Müller.

Bei letzterem ist das Zauberwort Vergrämung, also der Versuch, die von unerwünschten Arten vornehmlich besiedelten Räume für sie weniger attraktiv zu machen. Bei den Nilgänsen sind das gemähte Wiesen, auf denen sie besonders gerne fressen. Deshalb sollten auf innerstädtischen Flächen nach Ansicht der Naturschützer Gräser lang wachsen dürfen - das komme auch vertriebenen Insektenarten zugute, rät der NABU.

Kaltschmidts Jäger-Kollege Volker Rutkowski sieht keinen Widerspruch zwischen Naturschutz und Jagd. „Wir sind staatlich anerkannte Naturschützer und dürfen als Einzige in die Natur eingreifen“, meint der Sprecher der Heidelberger Jägervereinigung. Aus Sicht der Jäger allerdings gehen das Erlegen von invasiven Tieren zum Zwecke ihrer Eindämmung und deren Verzehr Hand in Hand. Kaltschmidt verkauft geräucherte Nilgansbrust zu 60 Euro das Kilo an die Gastronomie.

Waschbären sind Räuber

Diesen kulinarischen Nebenaspekt hat die Jagd auf den zweiten großen Eindringling nicht aufzuweisen - den Waschbär. Im Jagdjahr 2018/19 wurden in Baden-Württemberg 2500 der ursprünglich aus Pelzfarmen entflohenen Tiere erlegt. „Damit gehören wir noch nicht einmal zu den Hauptbetroffenen - Brandenburg zählt 33 000 erlegte Tiere“, sagt Rutkowski. 130 000 waren es bundesweit.

Die so putzig wirkenden Waschbären sind Räuber, die es auf Gelbbauchunken, Kreuzkröten, Eidechsen und Bodenbrüter in Flussnähe abgesehen haben. Das kleine Raubtier macht auch vor Wohngebieten nicht Halt, wenn sich dort Nahrung in Form von Obstbäumen oder leicht zugänglichen Mülltonnen anbietet. Größere Vorkommen gibt es im Schwäbisch-Fränkischen Wald sowie im Welzheimer - und Schurwald.

Die Jäger bemängeln, dass in dem Verordnungsentwurf die Nutzung von Kofferfallen für Waschbären nicht vorgesehen ist. Sie ähnelt einem Reisekoffer, der zusammenschnappt, wenn ein Tier vom darin ausgelegten Köder angelockt wird. Diese Falle habe sich in anderen Bundesländern weit effektiver als die bisher genutzten Drahtfallen erwiesen, argumentiert Jägervertreter Jauch. In beiden Fällen folgt der Abschuss der Tiere nach Entnahme aus der Lebendfalle.

Auch der NABU sieht beim Waschbären dringenden Handlungsbedarf. Er sei ein fabelhafter Kletterer, der die Nester von Greifvögeln plündere, darunter der schutzbedürftige Rot-Milan. Allerdings ist der NABU aus Tierschutzgründen gegen die Fallenjagd außer zu wissenschaftlichen Zwecken oder zum Schutz seltener Arten wie Trappen und Sumpfschildkröten. Die gefangenen Tiere würden einem erheblichen Stress ausgesetzt, sagt NABU-Fachmann Müller. Auch hier sei Management erforderlich. Die Menschen müssten aufgeklärt werden, die Tiere nicht durch Nahrungsangebote wie Katzenfutter und offenen Kompost anzulocken.