Die Europäische Zentralbank will bei der Berechnung der Inflationsrate künftig auch die Kosten von Wohneigentum berücksichtigen. Foto: dpa/Arne Dedert

Die Europäische Zentralbank verabschiedet sich offiziell von der Obergrenze von zwei Prozent. Im Schnitt will sie künftig genau diesen Wert ansteuern.

Frankfurt - Zwei Prozent „sind keine Obergrenze“. Mit diesen Worten bringt die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, den Kern der neuen geldpolitischen Strategie auf den Punkt: Anstelle einer Teuerungsrate knapp unter zwei Prozent steuert die Notenbank ab sofort einen Durchschnittswert von genau zwei Prozent an.

Auch für die alte, geringfügig niedrigere Zielmarke galt: Angestrebt wurde sie stets über eine „mittlere Frist“, um eine Punktlandung ging es also nie. Dass die EZB zeitweise auch Inflationsraten über zwei Prozent toleriert – wie seit einigen Monaten zu besichtigen –, ist daher ebenfalls nicht neu. Man wolle aber „jegliche Zweideutigkeit“ vermeiden, sagte Lagarde.

Lob gab es dafür vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband, der die EZB sonst eher kritisch begleitet: „Die neue, klarere Formulierung scheint gut geeignet, Inflationserwartungen exakter zu verankern“, erklärte DSGV-Präsident Helmut Schleweis.

Einige Beobachter befürchten eine Verlängerung der lockeren Geldpolitik

Andere Beobachter äußerten die Befürchtung, dass Zinserhöhungen durch die Notenbank nun noch weiter in die Zukunft verschoben werden: Wegen der Anhebung des Inflationsziels „könnten die Inflationsraten im Euroraum auf lange Sicht höher und die Geldpolitik lockerer ausfallen“, kommentierte Dirk Steffen, Leiter Kapitalmarktstrategie bei der Deutschen Bank.

Ähnlich äußerte sich der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer: „Damit rückt ein Ende der sehr lockeren Geldpolitik in noch weitere Ferne“, erklärte Krämer. „Das ist im Interesse der hoch verschuldeten Staaten, facht aber die Preise von Vermögenswerten weiter an und erhöht damit das Risiko, dass es in ein paar Jahren zu gefährlichen Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten kommt.“

Hauspreise sollen in die Inflationsrate eingerechnet werden

Immerhin will die EZB die Auswirkungen ihrer Geldpolitik auf die Hauspreise künftig berücksichtigen: Statt die Preisentwicklung nur zu beobachten, sollen die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum in die Berechnung der Inflationsrate einfließen. Wahrscheinlich sei, dass die Teuerungsrate dadurch „einen Tick höher“ ausfallen werde, sagte Lagarde. Allerdings sei die Einbeziehung der Hauspreise in die offizielle Inflationsrate ein Projekt „für mehrere Jahre“ – tatsächlich tüfteln die Experten des europäischen Statistikamts schon sehr lange an einer geeigneten Lösung.

Bis sie gefunden ist, will der EZB-Rat bei geldpolitischen Entscheidungen immerhin vorhandene Schätzungen zu den Kosten selbst genutzten Wohneigentums hinzuziehen – in Ergänzung zur Inflationsrate.

Aktionsplan für Klimaschutz birgt Konfliktstoff

Überdies legte die EZB einen „Aktionsplan“ für Klimaschutz vor. Begründung: Der Klimawandel führe zu strukturellen Änderungen des Wirtschafts- und Finanzsystems, was sich auch auf die Preisstabilität auswirken könne.

Die Notenbank will deshalb Wertpapiere, die Geschäftsbanken als Sicherheit für Zentralbankkredite bei der EZB hinterlegen, auf mögliche Klimarisiken prüfen. So, wie es bislang schon Bewertungsabschläge für Papiere etwa wegen schlechter Bonitätsnoten geben kann, wäre dies künftig auch bei Klimarisiken denkbar.

Noch brisanter ist die Frage, in welcher Form die EZB Klimarisiken beim Kauf von Unternehmensanleihen berücksichtigen wird. Neben Staatsanleihen erwirbt die Notenbank nämlich seit Jahren auch Schuldtitel großer Konzerne, um das Zinsniveau zu drücken. Klimaschützer kritisieren seit Jahren, dass die Notenbank überproportional viele Anleihen von Unternehmen mit einem hohen Treibhausgasausstoß kaufe.

Soll die EZB Marktversagen korrigieren?

Die EZB hat dazu wiederholt erklärt, die Käufe verhielten sich proportional zum Angebot – will heißen: Es sind eben viele Anleihen umweltschädlicher Unternehmen auf dem Markt. EZB-Chefin Lagarde hat dies in der Vergangenheit allerdings als Marktversagen charakterisiert. Dagegen warnte Bundesbankpräsident Jens Weidmann davor, mit „geldpolitischen Ankaufprogrammen von Wertpapieren umweltpolitische Ziele zu verfolgen“.

In der EZB-Mitteilung heißt es nun, Unternehmen, deren Anleihen die Notenbank kaufe, müssten zumindest die EU-Klimaschutzgesetze befolgen. Weitergehende Kaufkriterien sollen laut einem zeitgleich veröffentlichten Fahrplan geprüft werden. Als „Black Box“, also als undurchsichtig, kritisierte Jens-Oliver Niklasch von der LBBW das Vorhaben. „Überfrachtet sich die Geldpolitik mit ihrem Zielkatalog? Die Antwort auf diese Frage wird uns wohl erst die nächste Krise geben“, kommentierte Niklasch.