Mit Olaf Scholz, Saskia Esken und Lars Klingbeil soll das Zusammenspiel von Regierung und Partei in den nächsten Jahren gelingen. Foto: AFP/Hannibal Hanschke

Lars Klingbeil und Saskia Esken bilden die neue SPD-Spitze, zu der auch Kevin Kühnert als Generalsekretär gehört. Ihr Ziel ist „ein sozialdemokratisches Jahrzehnt“.

Berlin - In seiner Bewerbungsrede hat der neue SPD-Vorsitzende ein bisher unbekanntes Detail aus dem Bundestagswahlkampf ausgeplaudert. Im Frühsommer, als die Umfragewerte der Sozialdemokraten noch um miese 13,14 oder 15 Prozent schwankten, erhielt er den Anruf eines Fernsehmachers, der ihm klarmachte, dass aus den geplanten TV-Triellen Duelle werden würden, wenn die Genossen mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz nicht bald demoskopisch zulegten und in realistische Machtregionen kämen. „Wir standen mit dem Rücken zur Wand“, erinnerte sich Klingbeil: „Aber wir haben an uns geglaubt, als niemand an uns geglaubt hat.“

Kaum ein halbes Jahr später hat die SPD am Wochenende in Berlin ihren Parteitag im Beisein des frisch gewählten Bundeskanzlers Scholz abgehalten – und es gab nur wenige Reden, in denen nicht zum Ausdruck kam, es doch noch allen gezeigt zu haben. Der Blick zurück, die Größe der anstehenden Regierungsaufgabe und das coronabedingt eingedampfte Format verhinderten freilich eine allzu rauschende Feier. „Bei uns“, sagte die Baden-Württembergerin Leni Breymaier, die ihren Vorstandsposten aufgegeben hat, „herrscht mehr De- als Übermut.“

Mehr Stimmen für Klingbeil als für Esken

Zum Übermut können auch die Wahlergebnisse der neuen Führungsspitze kaum verleiten. Nach dem Ausscheiden von Norbert Walter-Borjans wurde der bisherige Generalsekretär Lars Klingbeil mit 86,3 Prozent der Stimmen zum neuen Parteichef gewählt – an der Seite von Saskia Esken, die mit 76,7 Prozent im Amt bestätigt wurde. Die Calwerin, die vor zwei Jahren überraschend durch einen Mitgliederentscheid an die Spitze gekommen war, bewertete das Ergebnis selbst als okay. Das dürfte auch der frühere Juso-Chef und bisherige Parteivize Kevin Kühnert über die 77,8 Prozent denken, mit denen er zu Klingbeils Nachfolger gekürt wurde.

Seine Partei sei „für die nächsten Jahre gut aufgestellt“, sagte der neue Bundeskanzler Scholz, in denen er einerseits Unterstützung für seine Politik erwartet, andererseits aber auch seine sozialdemokratische Agenda des Respekts umzusetzen versprach. „Es wird gut ausgehen“, rief er all denjenigen zu, denen der digitale und klimapolitische Strukturwandel in Deutschland Sorge bereitet. Als „groteske Zerrbilder“ bezeichnete es auch Kühnert, dass Scholz entweder seine Partei auf Kanzlerkurs trimmen werde oder dieser von der SPD an die kurze Leine genommen werde. Stattdessen werde das Motto auf der traditionellen Parteifahne greifen: „Einigkeit macht stark.“ Klingbeil schlug in dieselbe Kerbe: „Wir sind stark, wenn wir uns nicht um uns selbst drehen.“ Die künftige „Geschlossenheit“ wurde gar als Teil eines Leitantrags beschlossen.

Erste Ideen für die Eigenständigkeit

Die eigenen Akzente, die die Partei jenseits des Ampel-Koalitionsvertrags in den nächsten Jahren setzen will, deuteten sich auf der Versammlung drei Tage nach der Kanzlerwahl trotzdem schon an. Um „ein sozialdemokratisches Jahrzehnt“ einzuläuten, kündigte Klingbeil an, die Partei internationaler ausrichten und die entsprechenden Dachorganisationen stärken zu wollen. Kühnert will die Migrationsdebatte „offensiv“ angehen, weil zum Erhalt des wirtschaftlichen Wohlstands Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden müssen, dies aber auch mit „kulturellen Fragen und Verwerfungen“ verbunden sein werde, auf die die SPD eine Antwort geben müsse. Bei der Bürgerversicherung, die es erneut nicht in einen Koalitionsvertrag geschafft hat, sollten die Gesundheits- und Finanzpolitiker der Partei „klären, was wir wirklich damit meinen“.

Der verabschiedete Leitantrag richtet den Fokus darauf, wie sich die SPD aufstellen muss, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Darin taucht auch die Feststellung auf, dass erstmals weniger als 30 Prozent der Wählerstimmen ausreichten, um in Deutschland den Kanzler zu stellen. In nicht wenigen Regionen des Landes gebe es „,weiße Flecken‘ ohne gewachsene Parteistrukturen vor Ort“, wo die SPD nun „besondere Anstrengungen unternehmen“ will, um die Partei neu in der Gesellschaft zu verankern und zentraler Ort der Debatte über die gesellschaftlichen Veränderungen zu machen. „Wir wollen die SPD bis 2025 zur schlagkräftigsten Mitgliederpartei mit der modernsten Parteiorganisation weiterentwickeln“, heißt es weiter.