Eleganz hat ihren Preis: Die Filstalbrücke im Kreis Göppingen. Foto: Imago/Arnulf Hettrich

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen mehrere Unternehmen, die am Bau der Filstalbrücke an der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm beteiligt waren. Der Verdacht: auf kriminelle Weise hochgetriebene Baukosten.

Gab es beim Bau des spektakulärsten Bauwerks der Bahn-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm Mauscheleien? Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat bestätigt, dass Ermittlungen gegen sechs Personen aus sechs Unternehmen laufen, die am Bau der Filstalbrücke bei Wiesensteig beteiligt waren. Es bestehe der Verdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs. Sie sollen unter anderem mehr Arbeitskräfte veranschlagt haben, als tatsächlich im Einsatz waren.

Auch mehr Material als benötigt sei vermutlich abgerechnet worden, teilt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart mit. Es werde auch geprüft, ob sich der Anfangsverdacht bestätige, dass Bautagebücher manipuliert wurden. Bei allen sechs Firmen fanden Durchsuchungen statt. Man gehe von einem Schaden „im mittleren sechsstelligen Bereich“ aus, also mindestens eine halbe Million Euro.

Baufirmen und Bahn halten sich bedeckt

Um welche Baufirmen es sich handelt, ist nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft präzisierte lediglich, dass es sich um nicht bahneigene Firmen handele. Die Ermittlungen laufen seit einigen Monaten. Die Bahn nimmt zu dem laufenden Verfahren keine Stellung. „Es gibt keine Ermittlungen gegen die Deutsche Bahn“, sagt ein Sprecher des Unternehmens.

Eine Anfrage beim als einer der beiden Konsortialführer fungierenden österreichischen Bauunternehmen Porr blieb unbeantwortet. Beim oberpfälzischen Unternehmen Max Bögl war niemand erreichbar. Die Angaben der Staatsanwaltschaft legen aber nahe, dass es sich nicht um die hauptbeteiligten Firmen, sondern um andere Unternehmen innerhalb des Konsortiums gehandelt hat.

Wie ausschlaggebend war der Betrug für die Kostensteigerung?

Erstmals berichtet hat über das bereits mehrere Monate laufende Verfahren jetzt der SWR, der dazu auch offenbar von einem Insider interne Dokumente etwa über eine Kostenwarnung des Eisenbahnbundesamtes gegenüber dem Bundesverkehrsministerium von Anfang 2020 erhalten hat. Dass der zu jener Zeit veranschlagte Kostenrahmen von etwas mehr als 50 Millionen Euro nicht eingehalten würde, war damals bereits offiziell klar.

Doch nun ist es nach den dem SWR vorliegenden Angaben zu einer Verdreifachung der Baukosten gekommen. Welche Rolle dabei der Betrug spielt ist unklar, denn der von der Staatsanwaltschaft bezifferte Schaden erreicht nicht ansatzweise eine dafür relevante Dimension.

Hintergrund ist, dass die Deutsche Bahn zu Neuverhandlungen mit den ausführenden Bauunternehmen gezwungen war, weil diese wegen eines erheblichen Mehraufwands bei der Bauausführung die bisherigen Vertragskonditionen nicht mehr für tragbar hielten. Deshalb erklärte sich die Bahn in einer im Fachjargon Cost-Plus-Fixed-Fee genannten Vereinbarung dazu bereit, den Gewinn des auftragnehmenden Bauunternehmens im voraus abzusichern.

Dem SWR liegt offenbar der interne Schriftverkehr des für die Projektaufsicht zuständigen Eisenbahnbundesamtes mit dem Bundesverkehrministerium aus dem Jahr 2020 vor. Dort ist nicht nur von den Kostenrisiken die Rede, sondern auch von der Drohung eines beteiligten Bauunternehmens, gegen die Verpflichtung zur weiteren Bauausführung zu klagen.

Problematisches Vorzeigeprojekt

Von Anfang an ist die Brücke, die von der Bahn nicht nur als architektonisches, sondern auch bautechnisches Vorzeigeprojekt der Strecke propagiert wurde, von Problemen behaftet gewesen. Eine derartige Konstruktion hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. Der Bau war nicht nur wegen der Höhe von 85 Metern aufwendig – die Filstalbrücke ist damit die dritthöchste Bahnbrücke in Deutschland. Aufgrund der Lage direkt zwischen zwei Tunneln, die je Gleis als getrennte Röhren gebaut wurden, handelt es sich in Wirklichkeit um zwei getrennte Brücken, die das Tal durchqueren. Die technischen Herausforderungen führten von Anfang an zu Umplanungen beziehungsweise aufwendigen Bauverfahren.

Auch mit den zuletzt veranschlagten Baukosten von 50 Millionen Euro sprengte die Brücke bereits deutlich das bei der Streckenplanung vorausgesetzte Budget. Für alle Talbrücken an der Strecke waren – allerdings in einer frühen Planungsphase – insgesamt rund 40 Millionen Euro veranschlagt gewesen. Als es 2020 zu den notwendigen Preis-Neuverhandlungen kam, hinkte das Vorhaben bereits deutlich hinter dem Zeitplan hinterher. Ursprünglich war von einem Fertigstellungstermin 2018 ausgegangen worden.

Auch technologisch war das Bauwerk eine Herausforderung. Bei der Betonbauweise wurden besonders innovative Verfahren eingesetzt. So brauchte der in große Höhe gepumpte, selbstverdichtende Beton ein speziell für diesen Brückenbau entwickeltes Fließmittel, um verwendbar zu sein. Das Betonieren ging deutlich langsamer als gedacht. Zudem ruhte die Baustelle bereits zu Beginn monatelang, weil man bei den hydraulischen Bremsdämpfern, die in allen vier Widerlagern vorgesehen waren, vollkommen umplante – mit dem Ziel, die Kosten bei der Wartung langfristig zu senken.

Starker Zeitdruck

Die Brücke war bei den explodierenden Problemen mit den Baukosten zeitlich bereits für das anvisierte Eröffnungsdatum 2022 auf einem kritischen Pfad. Der Druck war hier enorm: Denn jede weitere Verzögerung hätte das politisch gewollte Ziel, schon vor der geplanten Fertigstellung des Stuttgarter Tiefbahnhofs die Strecke für eine Übergangszeit nutzen zu können, zunichte gemacht. Es gab bereits konkrete Planungen, die Brücke gegebenenfalls vorerst nur in einem eingleisigen Notbetrieb auf einem der Teilbauwerke zu nutzen.

Die Bahn war auch vor diesem Hintergrund offenbar bereit, das für sie riskante Kostenaufteilungsverfahren zu nutzen. So oder so haben sich die Baukosten des Streckenabschnittes Wendlingen-Ulm im Verlauf der Bauzeit auf insgesamt vier Milliarden Euro verdoppelt.