Szene aus „Der Zeuge“ von und mit Bernd Michael Lade (rechts) Foto: Neue Visionen

Der Schauspieler und Regisseur Bernd Michael Lade findet eine kluge Strategie, um das Gräuel in deutschen KZs darzustellen: Sein Gerichtsdrama „Der Zeuge“, das jetzt in die Kinos kommt, gibt dem ehemaligen Häftling Carl Schrade posthum eine Stimme.

Wie kann man die Gräuel in deutschen Konzentrationslagern darstellen, ohne sie zu verharmlosen oder aber sensationistisch auszubeuten? – Mit diesem Dilemma kämpfen Filmemacher oft, wenn es um den Holocaust geht.

Der Schauspieler, Regisseur und Punkmusiker Bernd Michael Lade („Tatort“) hat eine kluge Strategie gewählt: Statt auf eine fiktionale Story und szenische Gewaltdarstellungen stützt er sich für sein dokumentarisches Gerichtsdrama „Der Zeuge“ auf schriftliche Erinnerungen des in verschiedenen KZs inhaftierten, 1974 in der Schweiz verstorbenen Geschäftsmanns Carl Schrade, um vom Lageralltag zu erzählen.

Die Fakten stimmen nur zum Teil

Mit historischen Fakten nimmt es Lade allerdings nicht immer genau. So tritt Schrade als Zeuge der Anklage in einem fiktiven Militärprozess der Amerikaner gegen ein Dutzend SS-Leute auf – unter ihnen der Lagerkommandant des KZ Buchenwald, Karl Otto Koch, der sich gemeinsam mit seiner Frau Ilse wegen Korruption bereits 1944 vor einem SS-Gericht verantworten musste und 1945 hingerichtet wurde, ehe die Alliierten die KZs befreiten.

Bernd Michael Lade spart solche Details und Kontextualisierungen bewusst aus und gibt hauptsächlich Carl Schrade das Wort. Der wird bereits 1934 als Händler von Industriediamanten verhaftet und erlebt in den folgenden elf Jahren in Lagern wie Buchenwald und Flossenbürg Hunger, Folter und vielfachen Mord. Seltener äußern sich im Film die Angeklagten, unter ihnen etwa die als „Hexe von Buchenwald“ verschriene Ilse Koch, die sich weinerlich mit einem Kinderreim als Opfer ihres Mannes darstellt: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm sie doch.“ Die Rede ist auch von grausamen Praktiken in den Lagern, etwa, dass ein Mediziner lebenden Häftlingen den Magen entnahm, um sie auf zynische Weise von Bauchschmerzen zu kurieren.

Stumm entsetzte Zuhörer

Die amerikanischen Richter bleiben stumm entsetzte Zuhörer. Um die Berichte einem breiten Publikum zugänglich zu machen, lässt Lade seinen Protagonisten in englischer Sprache aussagen, zwei Frauen übersetzen ins Deutsche. Die deutschsprachigen Aussagen der SS-Leute werden von einer Amerikanerin (Maria Simon) in sanft singendes Südstaatenenglisch übersetzt. Sobald die Nazis sprechen, vergrauen die sonst farbigen Bilder. Der wirkungsvolle Verfremdungseffekt schafft Distanz, genauso wie die Musik, die Schrades Bericht teils unpassend mit Spannung auflädt. Die Konzentration auf die Erzählung fällt in solchen Momenten schwer.

Als Kapo gelang es Schrade, zu überleben

„Der Zeuge“ ist deshalb kein leicht zugänglicher Film, er gibt der bisher kaum beachteten Figur des Carl Schrade aber erstmals eine Stimme. Schrade, der als sogenannter Funktionshäftling oder „Kapo“ die Lager überlebte, erhielt nach dem Krieg keine Entschädigung, weil er von den Nazis als Krimineller und nicht als politischer Häftling geführt wurde. Mehr als dessen Vor- und Nachgeschichte interessiert Bernd Michael Lade aber dessen individuelle, authentische Bezeugung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Zeuge: Deutschland 2022. Regie: Bernd Michael Lade. Mit Bernd Michael Lade, Maria Simon, Thomas Schuch, Lina Wendel. 93 Minuten. Ab 12 Jahren.